Jo weil des Leb'n is Oaweit und de bringt eam um.

scrauteam

"Arbeit ist Würde!" Mit diesem wuchtigen Slogan ist die SPÖ ins Jahr 2018 gestartet. Beinahe kämpferisch. Der Satz klingt polyphon links. So scharf und spitz, dass er direkt kampagnenfähig erscheint.

"Arbeit ist Würde!" An diesem Satz ist ja auch fast alles richtig. Beziehungsweise alles fast richtig. Denn natürlich müsste man noch das Wort Arbeit auf eine konkretere Bedeutung hin zuspitzen (Hausarbeit? Büroarbeit? Beziehungsarbeit? Schichtarbeit?). Nämliches würde auch der Würde guttun. Und das Kopulaverb rückt alles so sehr ins Allgemeine, dass man das leicht mit Beliebigkeit verwechseln könnte.

Wogegen Christian Kern sich mit einigem Recht verwehren würde. Immerhin haben er und die Seinen das Recht des guten Meinens hinter sich. Die SPÖ kämpft mit diesem Slogan ja gegen die Abschaffung von Jobförderungen für ältere Arbeitslose. Denen vor allem gelte es Arbeit zu verschaffen. Ein Nichtsnutz zu sein – so der Subtext – ist würdelos.

Ist das aber wirklich so? Ist Arbeit konstitutiv fürs würdige Sein? Oder eher fürs bloße Dasein? Ist die hier gemeinte Arbeit nicht nur das Auskommen durchs Einkommen? Aber Würde?

Der Doppelcharakter

Die klassische Linke – und zu der rechnet die SPÖ ja wohl, jawohl – hat mit dem Begriff der Arbeit seit Beginn an ihre liebe Not gehabt. Die Arbeiterbewegung kippte stets leicht in eine Arbeitsbewegung.

Karl Marx, der dialektische Weltenerklärer, der sich so gerne als Weltenbeweger sah, hat sich bei der Erläuterung des "Doppelcharakters der Arbeit" so angestrengt am Kopf gekratzt, dass sein Schwiegersohn, Paul Lafargue, ihm mit einer Streitschrift in die Parade fahren musste. Die Arbeiterbewegung, so Lafargue, solle in ihrer Inbrunst bitt'schön nicht den Nutzen der Nichtsnutze übersehen.

1848 ist die Revolution, ausgehend von Paris, mit dem kampagnenfähigen Slogan "Recht auf Arbeit" durch Europa gefegt, aufgeregt begleitet von Marx und seinem Financier Friedrich Engels, deren "Kommunistisches Manifest" die Ereignisse gleichermaßen erklärte wie befeuerte. Lafargue hielt dem "Das Recht auf Faulheit" entgegen. Die so betitelte, 1880 erschienene Schrift verstand sich ausdrücklich als "Eine Widerlegung des ,Rechts auf Arbeit' von 1848".

Mit hämischer Treffsicherheit geißelt Lafargue die im Proletariat selbst grassierende Suchtkrankheit: "Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht." Eine "geistige Verirrung" sei das, welche "die Priester, die Ökonomen und die Moralisten" in die Herzen der Menschen gepflanzt hätten.

Die Prediger des Fleißes seien nicht allein diese "protestantischen Ethiker", sondern auch die Arbeiterführer selbst. Ihr Sozialismus nährt sich aus der Ideologie sozusagen schwäbischer (Lafargue: auvergnatischer) Schaffensfreude, welche sich nicht scheut, sogar auf Paulus' zweiten Thessaloniker-Brief zurückzugreifen.

Vier-Stunden-Tag

Flugs wandelt sich da das geforderte Recht in die geschuldete Pflicht. Thess. 3,10 war – fast ist man versucht zu sagen: no na – ein Lieblingssatz auch von Lenin. Und so kam der Apostel – wie weiland Pontius ins Credo – in die weltweit erste sozialistische Verfassung: "Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und Ehrensache jedes arbeitsfähigen Staatsbürgers nach dem Grundsatz: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen."

Alexei Grigorjewitsch Stachanow, der leuchtend vorbildliche Kohle-Kumpel aus dem Donezbecken, dem 1935 das unionsweit bestaunte und gefeierte Wunder gelang, die eh schon hohe Akkordnorm ums 13-Fache zu übererfüllen, konnte so viel aber gar nicht essen. Also begann er zu saufen. Wie ein Held der Arbeit: maßlos.

Ist Arbeit konstitutiv fürs würdige Sein?
Illustration: Armin Karner

Lafargue argumentierte sein "Recht auf Faulheit" frappierend modern: "Alle unsere Produkte sind verfälscht, um ihren Absatz zu erleichtern und ihre Existenzdauer zu verkürzen." Was also läge näher, als einen Stachanow der Faulheit zu propagieren? "Was die Arbeiter, verdummt durch ihr Laster, nicht einsehen wollen: Man muss, um Arbeit für alle zu haben, sie rationieren wie Wasser auf einem Schiff in Not." Vier Stunden am Tag wäre eine erträgliche Ration. Höchstens.

Kulturbruch

Das freilich käme einem Kulturbruch gleich. Kein Geringerer als Friedrich Engels beschwört die Arbeit als "die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen".

Die traditions- und ritualreiche Wiener SPÖ singt das alle Jahre wieder: "Stimmt an das Lied der hohen Braut / Die schon dem Menschen angetraut, / Eh' er selbst Mensch war noch." Und wie am Anfang, so immerdar: "So ruft: Die Arbeit sie erhält, / Die Arbeit, sie bewegt die Welt! / Die Arbeit hoch! / Die Arbeit hoch!"

Gegen solche Inbrunst des "homo laborans" hat es das Lob der Faulheit, des Müßiggangs, des Tagträumens, des Daumendrehens schwer. "Die Arbeit", so schrieb es schon 1882 Friedrich Nietzsche in seine "Fröhliche Wissenschaft", "bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite. Der Hang zur Freude nennt sich bereits ,Bedürfnis der Erholung' und fängt an, sich vor sich selbst zu schämen."

Damit nicht genug. Nietzsche ist auch aufgefallen, dass es noch dazu "ein Unglück der Tätigen ist, dass ihre Tätigkeit fast immer ein wenig unvernünftig ist". Dazu hat Heinrich Böll eine schöne Parabel geschrieben: "Zur Senkung der Arbeitsmoral", gesendet im Norddeutschen Rundfunk am und zum 1. Mai des Jahres 1963. Ein Tourist kommt mit einem Fischer ins Gespräch und will wissen, warum der bloß dasitze und nicht hinausfahre, da doch ideales Fangwetter wäre. Er habe schon reichlich gefangen, erwiderte der Fischer.

Aber führe er jetzt wieder hinaus, quengelte der Besucher, so ließe sich später investieren, ausbauen; ein zweites Boot, noch eines, eine Konservenfabrik und so weiter. Und warum? Ja dann, "sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken." Was, so der im Hafen sitzende, in der Sonne dösende, aufs herrliche Meer blickende Fischer, wäre dann anders als jetzt?

Der Wurschtl

Günther Nenning, ein querliegender und darum mit Kopf und Füßen stets übers Sozialdemokratische hinausragender Sozialdemokrat, war diesbezüglich von ähnlich ironischem Schlag. Es war irgendeine Wahl, ein kampagnenfähiger Slogan von ÖVP oder SPÖ, so genau ist die Erinnerung nicht mehr. Es hieß jedenfalls im allgemeingültigen Polit-Nona: "Arbeit schaffen!" Nenning – Journalist, Verleger, Gewerkschafter, Hainburg-Aktivist, Ur-Grüner – kommentierte: "Ich lass mir keine Arbeit schaffen."

Der 2006 84-jährig verstorbene Nenning – den Bruno Kreisky gerne "Wurschtl" genannt und den Fred Sinowatz aus der Partei geworfen hat aus lauter Fleiß und Redlichkeit – hatte am Ende wohl recht behalten. Weil den Wurschtl – Gottseibeiuns aller Emsigen – kann nicht einmal der Schichtführer derschlag'n. (Wolfgang Weisgram, 29.4.2018)