Walter Hämmerle, "Der neue Kampf um Österreich. Die Geschichte einer Spaltung und wie sie das Land prägt", € 24,90 / 416 Seiten. Edition A, Wien 2018

Foto: edition a

Es gibt Bücher. Und es gibt Journalistenbücher. Letztere sind meistens um steile Thesen nicht verlegen, entstehen dafür allerdings mitunter auch aus dem Geist der Hudelei. Vom Hudeln aber, das gilt in Österreich als empirisch gesichert, kommen schiache Kinder. Bei Büchern ist das nicht anders.

Walter Hämmerle ist zwar Journalist (bei der Wiener Zeitung), aber beileibe kein Hudler. Deswegen hat er nicht nur ein sehr schönes, sondern auch ein sehr kluges Buch vorgelegt: Der neue Kampf um Österreich. Die Geschichte einer Spaltung und wie sie das Land prägt.

Kampf zwischen Ballhausplatz und Rathausplatz

Darin zeichnet er auch anhand von Friedrich Heers Der Kampf um die österreichische Identität präzise die Geschichte der inneren Spaltung Österreichs seit dem Vormärz, dem Ausgleich und vor allem der Ausrufung der Republik 1918 nach. Deutschnationale Sozialisten und nach dem Fall der Monarchie recht verzagte Christlichsoziale gründen 1919 in einer nur kurz währenden großen Koalition das rundum amputierte Österreich neu und geben diesem eine Verfassung. Unmittelbar danach ergehen sie sich in "größtmöglicher weltanschaulicher Distanz auf der geringstmöglichen Fläche". Der Kampf um die Vorherrschaft im Staat zwischen dem Ballhausplatz und dem Rathausplatz in Wien wird schließlich zu einem Bürgerkrieg, zum Austrofaschismus und endet im "Anschluss" an Nazideutschland.

Die Erste Republik ist Geschichte, die Zweite vorerst geheilt von der Sehnsucht nach Großdeutschland. In den Jahren des Wiederaufbaus, schreibt Hämmerle, habe "das unbedingte Primat der politischen Koexistenz" gegolten. Und: "Die Zweite Republik hat die Bürger mit der Idee der Demokratie versöhnt."

Zäsurjahr 1986

Wo Heer aufhören musste, macht Hämmerle weiter: Die alten Dämonen, sie stehen in den 1980er-Jahren wieder auf. Es ereignet sich der Kampf um die Seele der FPÖ, den ein gewisser Jörg Haider im Zäsurjahr 1986 gewinnt. Die Republik spaltet sich erneut. Haider formt aus dem dritten Lager eine breite, populistische Bewegung, die gegen den EU-Beitritt und später vor allem auch gegen die Einwanderung auftritt.

Auf diesem Boden gedeiht eine politische Saat, die mit der Flüchtlingskrise 2015 aufgehen wird. Hämmerle: "In der Logik der Extremstandpunkte gibt es nur Sieg oder Niederlage, Überleben oder Untergehen; ein Kompromiss, das Herzstück der Demokratie, liegt außerhalb der rhetorischen Möglichkeiten der Kontrahenten. Das ist der Stoff, aus dem dieser Kulturkampf ist, der neue Bürgerkrieg, der in Österreich ausgetragen wird." Ohne Rückgriff auf die Vergangenheit also lässt sich die aktuelle Auseinandersetzung in Österreich nicht verstehen.

Auf der Strecke blieben dabei, schreibt der Autor, die unbezweifelbaren Erfolge Österreichs. Für deren Verbreitung bedürfe es neuer Narrative. Bis es die gibt, müssen die Österreicher vermutlich noch eine Zeitlang warten – nur nicht hudeln. (Christoph Prantner, 2.5.2018)