Caster Semenya, die Doppelolympiasiegerin über 800 Meter, droht per Grenzwert von der Laufbahn gedrängt zu werden.

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Johannesburg – "Diese Regelungen sind eine schmerzliche Erinnerung an unsere Vergangenheit, in der eine ungerechte Regierung absichtlich Gesetze einführte, um einen Teil der Bevölkerung von der Gesellschaft auszuschließen." Südafrikas Sportministerin Toko Xasa zieht nach dem Beschluss der IAAF, Mittelstreckenläuferinnen Testosteronhöchstwerten zu unterwerfen, Parallelen zum Apartheid-Regime. Es handle sich um eine neuerliche Attacke gegen die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya. Die je zweimalige Weltmeisterin und Olympiasiegerin über 800 Meter solle auf diese Weise von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen werden.

Dass der IAAF-Beschluss weithin als eine gegen die Ausnahmesportlerin gerichtete "Lex Caster Semenya" betrachtet wird, hat gute Gründe. Die betroffenen Disziplinen decken ausgerechnet die Stärken der 27-Jährigen ab: 400, 800 und 1500 Meter. In ihrer Begründung hebt die IAAF die Verantwortung hervor, "gleiche Ausgangsvoraussetzungen für alle Athletinnen zu schaffen" und "klare Kriterien" für die Einteilung der Sportler in Männer und Frauen zu benennen. "Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass Testosteron – ob auf natürliche Weise im Körper hergestellt oder injiziert – eine bedeutende Leistungsverbesserung bei Athletinnen hervorbringt", heißt es in einer IAAF-Erklärung.

Zweierlei Maß

Der südafrikanische Sportwissenschafter Ross Tucker weist allerdings darauf hin, dass dieser Vorteil auch bei Hammerwerferinnen und Stabhochspringerinnen nachgewiesen wurde, die von der IAAF-Regelung nicht betroffen sind, während die Auswirkungen im 1500-Meter-Lauf nicht nachweisbar gewesen seien.

Als Grenzwert für Testosteron bei Frauen legte die IAAF 5,0 Nanomol pro Liter Blut fest. Üblicherweise liegt dieser Wert zwischen 0,12 und 1,79, bei Männern zwischen 7,7 und 29,4. Will eine Sportlerin trotz eines erhöhten Testosteronspiegels in den erwähnten Disziplinen antreten, muss sie durch Medikamente ihren Hormonwert senken und über mindestens sechs Monate auf diesem Niveau halten – oder als Mann antreten. Angaben des Sportwissenschafters Tucker zufolge haben die Hormonpillen starke Nebenwirkungen: "Vergleichbar den Folgen, die eine Frau beim Eintritt in die Wechseljahre erlebt."

Neun Jahre Zweifel

Die Kontroverse um Caster Semenya geht bis zur WM 2009 in Berlin zurück. Damals wurde die Athletin mit der dunklen Stimme und dem muskulösen Körper zu einem Geschlechtstest genötigt, was in Südafrika heftige Proteste auslöste. Semenya durfte schließlich als Frau antreten und gewann Gold über 800 Meter. Bei ihr sei allerdings ein stark erhöhter Testosteronspiegel festgestellt worden, hieß es. Der genaue Wert wurde nicht bekannt gegeben. Es folgten Olympiasiege in London und Rio de Janeiro sowie 2017 in London neuerlich WM-Gold. Zuletzt lief Semenya bei den Commonwealth-Games in Australien zu Gold über 800 und 1500 Meter.

2015 focht die indische Sprinterin Dutee Chand ihren Ausschluss von einem Wettkampf wegen zu hoher Testosteronwerte erfolgreich vor dem Lausanner Sportgerichtshof CAS an. Die IAAF war aufgefordert worden, klarere Regeln zur Abgrenzung von Sportlerinnen und Sportlern zu erlassen. Aufgrund einer Studie, deren Ergebnisse unter Wissenschaftern durchaus umstritten sind, wurden die aktuellen Regelungen beschlossen. Südafrikas Regierungspartei ANC kündigte bereits an, diese ebenfalls vor den CAS zu bringen.

Semenya, in Südafrika längst ein Idol, reagierte lediglich per Tweet: "Ich bin mir zu 99 Prozent sicher, dass die mich nicht leiden können. Und zu 100 Prozent sicher, dass mir das egal ist." (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 27.4.2018)