Seit Wochen werden zahlreiche Universitäten in ganz Frankreich – auch in Straßburg (im Bild) – durch Studierendenblockaden lahmgelegt. Mitte April war jede zweite Uni in Frankreich besetzt.

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Nur kurz hält die Blockade. Etwa 60 Studierende lehnen sich gegen die Stühle und Tische, mit denen sie die Türen des Hauptportals der Uni Straßburg verbarrikadiert haben. Sie erklären am Abend des 22. März das Universitätspalais für besetzt. Es ist ein Symbol des Protests gegen die Hochschulreform von Émmanuel Macron, die den freien Unizugang begrenzen möchte. Doch der symbolische Widerstand hält nicht lang. Nur wenige Sekunden können die Studierenden den gepanzerten Einheiten der Bereitschaftspolizei standhalten, die sich mit Tränengas in das Gebäude vorkämpfen.

Die Bilder dieses Abends werden nicht die letzten sein, auf denen man Studierende sieht, die von Polizisten aus Universitätsgebäuden geleitet werden. Fast täglich werden sogenannte Assemblées Générales abgehalten, also öffentliche Versammlungen, zu denen mehrere Hundert Straßburger Studierende kommen, um über Besetzungen und Blockaden zu diskutieren. Immer wieder stößt die Polizei dazu und löst die Besetzungen wieder auf. Auch in anderen Universitäten des Landes beginnen sich Gruppen von Studierenden gegen die Reformen zu mobilisieren.

Räumungen Ende April

Am 14. April vermeldete die landesweite Protestkampagne "Non à la Sélection", dass 35 der 68 französischen Universitäten zum Teil oder gänzlich besetzt wären. Kleinere Protestkampagnen gibt es in fast allen Institutionen. Seither berichten die Protestierenden auf ihrer Facebook-Seite von immer mehr Räumungen durch die Polizei. Zuletzt wurde in der Nacht auf Montag die Université de Paris III –Sorbonne Nouvelle geräumt.

Dabei ist das Gesetz, gegen das sich die Proteste richten, längst beschlossene Sache. Der Gesetzesentwurf bezüglich "Orientierung und Erfolg der Studenten" wurde bereits im Dezember vergangen Jahres im Parlament verhandelt, im Februar im Senat. Anfang März wurde das Reformgesetz schließlich von Émmanuel Macron unterzeichnet. "Ich habe Macron immer unterstützt, weil ich mich als Teil einer globalisierten Generation fühle", sagt der Politikwissenschaftsstudent Pierre Fouquet: Mittlerweile fürchtet er, dass Macrons "wirtschaftsliberalen Reformen zu weit gehen und der Graben zwischen globalisierter Elite und weniger bevorteilten Milieus größer wird, auch unter uns Studierenden".

Selbstbestimmte Aufnahme

Denn das Gesetz spricht den Hochschulen das Recht zu, weitgehend selbstständig Aufnahmekriterien für den Zugang zu Bachelorstudiengängen zu entwickeln und damit die Zahl der Neuanfänger zu begrenzen. Die Regierung möchte so gegen überfüllte Hörsäle bei den Studienanfängern und Abbruchraten von bis zu 60 Prozent im ersten Jahr vorgehen.

Nach welchen Kriterien die Auswahl stattfinden soll, überlässt die Regierung der freien Hand der Universitäten. Über das Onlineportal Parcoursup sollen sich Studienanfänger für die Studiengänge bewerben können. Das Portal ermittelt dann die Kriterien, die der Bewerber für ein Studium an dieser Hochschule mitbringen muss.

Kehrtwende im Bildungssystem

Das Prinzip des französischen Hochschulsystems vollzieht damit eine Kehrtwende. Jahrzehntelang galt der freie und uneingeschränkte Hochschulzugang als unantastbares Gut des Bildungssektors. Lediglich das Bakkalaureat, die Allgemeine Hochschulreife, galt als Voraussetzung, um sich an einer Hochschule immatrikulieren zu können.

Dass jetzt die Universitäten entscheiden dürfen, nach welchen Kriterien sie Maturanten aufnehmen, treibt viele Studenten auf die Barrikaden. "Selektion ist immer eine Auswahl nach Herkunft", sagt die Studentin Nina Kermiche, die sich an den Besetzungen beteiligt: "Wer in Frankreich geboren wurde, der spricht besser Französisch und hat meist bessere Abschlussnoten."

Angst vor Auswahl

Viele fürchten wie sie, dass die Auswahl rein nach Leistung und Selbstpräsentation erfolgen könnte. "Diejenigen, die sich in einem Vorstellungsgespräch gut verkaufen können, stammen meist nicht aus den Problembezirken", sagt der Straßburger Student Erwan Le Bihan. Er fürchtet, dass die Reformen die sozialen Unterschiede zwischen privilegierten und weniger privilegierten Gymnasialabgängern verschärfen werden.

Natürlich ist der Hochschulzugang auch in Frankreich in vielen Studienfächern an Auswahlkriterien gebunden und das Prinzip des allgemein freien Hochschulzugangs in den vergangenen Jahren verwässert worden. Zu hoch war die Zahl der Bewerber, die sich für Studiengänge wie Jus oder Medizin eingeschrieben haben. Im vergangenen Jahr führte das dazu, dass ein Online-Algorithmus, genannt "Admission Post-Bac", mehr oder weniger zufällig über die Vergabe von Studienplätzen in bestimmten Fächern entschied. Auch gegen derartige Maßnahmen richtet sich Macrons Reform.

Gegen Überfüllung

Die Forderung, dass etwas gegen die überfüllten Fakultäten unternommen werden muss, unterstützen die meisten Protestierenden in Straßburg. Doch an Auswahlkriterien für das Studium als Heilmittel glauben nur wenige.

Viele fürchten, dass sich schließlich Zwei-Klassen-Universitäten bilden könnten: Die Abschlüsse an Großstadtuniversitäten mit strengen Aufnahmekriterien wären dann mehr wert als die Abschlüsse an ländlichen Universitäten mit einfacheren Aufnahmebedingungen.

Protest am Tag der Arbeit

"Wir brauchen mehr Geld für den gesamten Hochschulsektor, keine Zugangsbeschränkungen und Elitenförderungen", fordert Nina Kermiche. Sie möchte weiterhin für den freien Hochschulzugang protestieren, auch wenn das Gesetz längst unter Dach und Fach gebracht ist. Als nächstes wollen sich die Studierenden am Tag der Arbeit, dem 1. Mai, sammeln, "um alle kämpfe dieses Landes, insbesondere die der Jugendlichen gegen die Auswahl an der Universität, zu Vereinen", heißt es im Aufruf auf Facebook.

Doch in Straßburg mehren sich auch die Stimmen jener, die für die Besetzungen und Blockaden kein Verständnis zeigen. Nach vielen Wochen wünschen sich viele wieder einen normalen Unterricht in Hörsälen und nicht vor verbarrikadierten Türen. Für die Protestierenden wird es in Zukunft noch schwieriger, sich im Élysée-Palast Gehör zu verschaffen. (Tobias Mayr, 30.4.2018)