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Ein UN-Beobachterposten im Golan-Gebiet kurz nach dem Vorfall mit neun getöteten Syrern.

Foto: AP/Ariel Schalit

Vor kurzem wurden in der Stadtzeitung Falter schwerwiegende Vorwürfe gegen österreichische Blauhelmsoldaten erhoben. Angeblich ließen die Soldaten während ihres Einsatzes auf den Golanhöhen im Jahr 2012 Mitglieder einer syrischen Polizeieinheit wissentlich in den Hinterhalt einer Schmugglerbande laufen. Dabei kamen neun Menschen ums Leben. Das Verteidigungsministerium hat mittlerweile eine Untersuchungskommission eingesetzt. Welche rechtlichen Konsequenzen hat dieser Vorfall für die handelnden Soldaten und die Republik? Die folgende Analyse basiert auf dem bisher im Falter dargestellten Sachverhalt.

Das Verteidigungsministerium stellt sich auf die Position, die UN-Soldaten wären zur Unparteilichkeit verpflichtet und dürften daher in keinem Fall eingreifen. Richtig ist, dass UN-Soldaten zur Unparteilichkeit gegenüber den Parteien des bewaffneten Konflikts verpflichtet sind. In der Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Syrien und Israel entschied der UN-Sicherheitsrat im Jahr 1974, eine Beobachtungsmission zu entsenden, die die Einhaltung des Truppentrennungsabkommens überwachen soll.

Argument der Unparteilichkeit greift nicht

Im vorliegenden Fall dürfte es sich jedoch nicht um eine Auseinandersetzung zwischen den Streitkräften Syriens und Israels handeln, und daher greift auch das Argument der Unparteilichkeit nicht. In einer ersten Reaktion der Vereinten Nationen ist nicht von Schmugglern, sondern von bewaffneten Oppositionellen die Rede. Dies ändert jedoch formell nichts daran, dass sich das Gebot der Unparteilichkeit auf den Konflikt zwischen Syrien und Israel bezieht.

Die Rechtsstellung von Soldaten in UN-Missionen wird durch das Status-of-Forces-Abkommen geregelt. So auch im Abkommen zwischen der Republik Österreich und den Vereinten Nationen zur Beistellung von Truppen an die United Nations Disengagement Observer Force auf den Golanhöhen. Diese Abkommen sehen vor, dass Soldaten Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung im Einsatzstaat genießen. Auch den Vereinten Nationen sind hinsichtlich einer Bestrafung die Hände gebunden, was jüngst im Rahmen der sexuellen Übergriffe von Blauhelmsoldaten auf die Zivilbevölkerung im Kongo und in anderen Staaten heftig debattiert wurde.

Die strafrechtliche Verfolgung obliegt ausschließlich dem Entsendestaat, in diesem Fall Österreich. Grundsätzlich erlaubt das österreichische Strafrecht auch eine Verfolgung von Taten, die von österreichischen Staatsbürgern im Ausland begangen wurden. Damit wird dieser Fall unsere Justiz jedenfalls beschäftigen. Die beschriebenen Handlungen könnten möglicherweise den Tatbestand der Beihilfe zum Mord erfüllen. Dies hängt vor allem von den noch aufzuklärenden Einzelheiten ab.

Konsequenzen

Auch für die Republik Österreich könnte der Fall rechtliche Konsequenzen haben. Auf Österreich könnten sowohl Schadenersatzforderungen als auch ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zukommen. Die Hinterbliebenen der verstorbenen Syrer könnten die Republik Österreich auf Schadenersatz klagen, eine vergleichbare Entscheidung gibt es bereits aus den Niederlanden. Ein niederländisches Berufungsgericht entschied im Jahr 2017, dass die Niederlande teilweise für die Untätigkeit der niederländischen UN-Blauhelme in Srebrenica haftbar und zum Schadenersatz verpflichtet sind. Auch hier gilt: Zuständig für eine Entscheidung über einen möglichen Schadensersatzanspruch gegen die Republik Österreich wäre jedenfalls die österreichische und nicht die syrische Justiz.

Darüber hinaus ist in letzter Konsequenz auch ein Verfahren gegen Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg denkbar: Österreich könnte durch das Verhalten der entsendeten Soldaten seine Menschenrechtsverpflichtungen verletzt haben. Die Rechtslage ist hier durchwachsen, der Gerichtshof hat sich in der Vergangenheit jedoch schon mehrmals mit dem Verhalten europäischer Blauhelmkontingente innerhalb und außerhalb Europas befassen müssen. Rechtlich strittig wäre dabei die Frage, ob die Soldaten der Republik Österreich oder den Vereinten Nationen zuzurechnen sind.

Die Richter in Straßburg entschieden beispielsweise im Fall Behrami gegen Frankreich, dass die französischen Soldaten, als Teil der multinationalen Brigade im Kosovo (Kfor), Frankreich nicht zugerechnet werden könnten und daher Frankreich auch keine Menschenrechtsverletzungen begangen habe. Die Kfor-Soldaten wussten seit Monaten, dass sich in der Nähe von Mitrovica im Kosovo nicht explodierte Streubomben befinden, und blieben untätig. In der Folge starb dabei ein Kind beim Spielen durch eine Streubombe, und ein weiteres wurde schwer verletzt.

Die Vereinten Nationen hingegen unterliegen nicht der Jurisdiktion des Gerichtshofs. Im Fall Al-Jedda gegen das Vereinigte Königreich entschieden die Richter jedoch, dass die britischen Soldaten als Teil einer multinationalen Brigade dem Vereinten Königreich direkt zugerechnet werden können, da die Vereinten Nationen über diese multinationale Brigade keine effektive Kontrolle und Autorität gehabt hätten.

Extraterritoriale Anwendung

Weiters strittig wäre, ob die Europäische Menschenrechtskonvention auf einen Fall auf den Golanhöhen – und damit außerhalb des Staatsgebiets der Vertragsstaaten – überhaupt anwendbar ist. Im juristischen Fachjargon wird diese Problematik unter dem Stichwort "Extraterritoriale Anwendung" diskutiert, und auch hiezu gibt es unterschiedliche Entscheidungen des Gerichtshofs in Straßburg. Der Ausgang eines solchen Verfahrens gegen Österreich, sollte es jemals dazu kommen, ist daher als ungewiss einzustufen.

Die Einzelheiten des Vorfalls auf den Golanhöhen werden noch zu klären sein, feststehen dürfte jedoch jetzt schon, dass der Fall die Ebenen der Justiz längerfristig beschäftigen wird, möglicherweise sogar bis nach Straßburg. (Matthias Edtmayer, Hannes Jöbstl, 1.5.2018)