Ludwig von Mises (Bild) und Friedrich August von Hayek haben das heutige Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) gegründet. In einer Forschungsarbeit werden nun erstmals seine Positionen....

Foto: Ludwig von MIses Institute

..........mit jenen den Empiristen Otto Neurath – hier einen Tag vor seinem Tod am 22. Dezember 1945 – verglichen.

Foto: Noord-Hollands Archief, Haarlem (NL), Vienna Circle Archive, inv.nr. 369

Es war die Wirtschaftskrise von 2008, die eine der drei einflussreichsten intellektuellen Bewegungen, die je in Österreich entstanden sind, aus der Mottenkiste halbvergessener Denksysteme herausholte: die Österreichische Schule der Nationalökonomie. "Wie Freuds Psychoanalyse und der Logische Empirismus des Wiener Kreises haben sich die Ideen dieser wirtschaftswissenschaftlichen Schule in der ganzen Welt verbreitet", erklärt der Mathematiker und Wissenschaftsphilosoph Alexander Linsbichler von der Uni Wien. "Zum wissenschaftlichen Mainstream gehören sie seit dem Zweiten Weltkrieg jedoch nicht mehr."

Die Kritik an den oft unrealistischen Annahmen der orthodoxen Ökonomie wird seit der letzten Finanzkrise immer lauter. Gehen doch viele mathematische Modelle im Mainstream davon aus, dass sich die Menschen bei ökonomischen Entscheidungen rational verhalten und dass ihre Entscheidungen auf ausreichenden Informationen basieren. Nachdem das Verhalten des Homo sapiens jedoch um einiges komplexer ist als das des Homo oeconomicus, versagten fast alle diese Modelle bei der Vorhersage der Krise von 2008.

Wer Wirtschaft verstehen will, muss also über den Tellerrand der Ökonomie hinausschauen und auch psychologisches, soziologisches oder politikwissenschaftliches Wissen in seine Überlegungen einbeziehen. Hier nun kommt die Österreichische Schule der Nationalökonomie ins Spiel, die dieses breite Verständnis von Wirtschaft schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg vertreten hat. Ihr Gründer war Carl Menger, der mit seiner 'subjektiven Wertlehre' die Wirtschaftswissenschaften auf eine völlig neue Basis stellte. Menger zufolge ist der Wert keine Eigenschaft von Gütern, sondern "ein Urteil, welches sich die wirtschaftenden Individuen (...) bilden." Eine Erkenntnis, die bis heute zu den Grundpfeilern der Ökonomie zählt.

Skeptische Grundhaltung

Was die Vertreter der Österreichischen Schule bei all ihrer Unterschiedlichkeit eint, ist der differenzierte Blick auf die Grundlagen und Einflussgrößen menschlichen und damit auch wirtschaftlichen Handelns. "Und als Folge davon auch eine gewisse Skepsis gegenüber wirtschaftlichen Prognosen und der Steuerbarkeit von Gesellschaften und Institutionen", erläutert Alexander Linsbichler, Fellow im Doktorandenkolleg "The Sciences in Historical, Philosophical and Cultural Contexts".

Diese skeptisch-bescheidene Grundhaltung sei damals weder in Österreich noch im Ausland besonders gut angekommen. Als ab den 1930er-Jahren fast alle Anhänger der Österreichischen Schule aus politischen oder beruflichen Gründen in die USA oder nach England emigrieren mussten, trafen sie mit ihrem breiten Verständnis von Ökonomie auf einen völlig anderen Zeitgeist: "Dort forschte man bereits innerhalb sehr enger Disziplinengrenzen, und die Österreicher ließen sich nur schwer einordnen", weiß Linsbichler. So standen sie auch in den kommenden Jahrzehnten außerhalb des Mainstreams. Erst mit der Finanzkrise begann sich die Forschung verstärkt mit ihren Theorien zu beschäftigen.

In einer von Uni Wien und Wirtschaftskammer Wien organisierten Ausstellung kann man sich demnächst ein Bild von der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und ihren außergewöhnlichen Vertretern machen. Ein Starttermin ist noch nicht bekannt.

Wichtiger Denker des Liberalismus

Einer der bekanntesten davon war übrigens Friedrich August von Hayek, der 1974 den Nobelpreis erhielt. "Als einer der wichtigsten Denker des Liberalismus hat er bereits in den 1940er-Jahren vor den Gefahren der Planwirtschaft gewarnt", erklärt Alexander Linsbichler, der die Ausstellung wissenschaftlich betreut. "Aus Hayeks Sicht mündet das notwendige Versagen von Wirtschaftsplänen in eine wachsende Machtfülle für staatliche Institutionen und Funktionäre." Damit können seiner Meinung nach auch wohlmeinende Absichten totalitären Regimen den Weg ebnen. Dass der Säulenheilige des Liberalismus unter bestimmten Voraussetzungen auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintrat, ist dagegen viel weniger bekannt – selbst wenn sich mittlerweile zahlreiche Großunternehmer darauf berufen.

Auch Fritz Machlup, der als einer der ersten Ökonomen die Bedeutung von Wissen als wirtschaftliche Ressource erkannte, gehörte dieser Österreichischen Schule an. Er hat maßgeblich an der Entwicklung der Informationsökonomik mitgewirkt, für die Joseph Stiglitz und zwei weitere Wirtschaftswissenschafter 2001, also fast zwei Jahrzehnte nach seinem Tod, den Nobelpreis erhielten.

Unerwartete Gemeinsamkeiten

Obwohl die Österreichische Schule der Nationalökonomie zur gleichen Zeit am selben Ort entstand wie der Logische Empirismus des Wiener Kreises und sich die Mitglieder der beiden Gruppen zum Teil kannten und sogar zu den gleichen Themen arbeiteten, gibt es bislang kaum wissenschaftliche Untersuchungen zur Beziehung zwischen diesen beiden großen intellektuellen Bewegungen.

Eine erstaunliche Lücke, die Alexander Linsbichler mit seiner Dissertation nun schließen will. Indem er die Positionen des Empiristen Otto Neurath mit jenen des klassischen Liberalen Ludwig von Mises vergleicht, will er die Verbindungen zwischen den beiden wirkmächtigen österreichischen Geistesströmungen erkunden. Auf den ersten Blick vertreten die beiden durchaus unterschiedliche Haltungen – etwa im Hinblick auf die Planwirtschaft oder die Bedeutung von Erfahrung für den Erkenntnisgewinn. "Bei näherer Betrachtung aber zeigen sich viele Gemeinsamkeiten", fand der Wissenschaftsphilosoph heraus.

Kritik an einflussreicher Rolle von Experten

"Beide kritisieren totalitäre Positionen sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite. Beide sind überzeugte Demokraten, was in der Zwischenkriegszeit keineswegs selbstverständlich war. Beide haben über die zentrale Rolle von Sprache und Volksbildung zur Sicherung der Demokratie nachgedacht. Beide sahen eine allzu einflussreiche Rolle von Experten kritisch."

Die Themen, die den beiden Intellektuellen damals unter den Nägeln brannten und ihre Theorien bestimmten, sind auch heute wieder aktuell. Es scheint also höchste Zeit, ihre Gedanken und Erkenntnisse zur Lösung gegenwärtiger gesellschaftlicher Probleme zu nutzen. (Doris Griesser, 5.5.2018)