Auf den ersten Blick erscheint die Materie ziemlich fad. Und die Begriffe dafür sind bestenfalls sperrig, wenn nicht sogar ausgesprochen unsexy: Es geht – vorderhand – um Rechtsstaatlichkeit und den sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen der EU. In Wirklichkeit allerdings wird in genau diesem Bereich um nichts weniger gefochten als um die Seele der Union. Im Widerstreit stehen Pluralismus und Autoritarismus, Liberalismus und Illiberalismus, Rechtstreue und Willkür.

Am Mittwoch wird die EU-Kommission ihren Haushaltsentwurf für die Jahre 2021 bis 2027 vorstellen. Darin enthalten sein dürften auch Maßnahmen, die vor allem osteuropäische Mitgliedsstaaten finanziell zur Ordnung rufen sollen. Die Kommission verlangt nämlich, dass sich diese an rechtsstaatliche Gepflogenheiten und demokratische Mindeststandards der Union zu halten haben, sofern sie weiterhin EU-Subventionen bekommen wollen. Hinter dem Vorschlag stehen Deutschland, Frankreich und die anderen Nettozahler – auch Österreich.

Rechtsstaatlich unterentwickelte Nettoempfängerstaaten

"Ziel-1-Region" dieser neuen und scharfkantigeren Subventionspolitik sind zunehmend rechtsstaatlich unterentwickelte Nettoempfängerstaaten wie Ungarn, Polen und auch Tschechien. Überall dort wird oft und gerne Stimmung gegen die EU gemacht, gleichzeitig werden aber auch ungeniert die Milliarden der Union eingesackt.

Nach Ungarn, wo der eben wiedergewählte Ministerpräsident Viktor Orbán über die Vorzüge der "illiberalen Demokratie" schwadroniert und den "Freiheitskampf gegen Brüssel" ausrufen ließ, pumpt die EU in der aktuellen Finanzperiode 22 Milliarden Euro. Ein guter Teil dieser Subventionen soll Berichten der Antibetrugsbehörde Olaf, des Europaparlaments sowie Ermittlungen des FBI zufolge veruntreut worden sein. Verfahren dazu, die in Brüssel regelmäßig angestrengt werden, stellt der ungarische Generalstaatsanwalt ebenso regelmäßig ein.

Gefährdung der EU-Grundwerte

Polen, gegen dessen nationalkonservative Regierung der Rat im Dezember ein Artikel-7-Sanktionsverfahren wegen Gefährdung der EU-Grundwerte eingeleitet hat, erhält enorme 77 Milliarden Euro in sieben Jahren. Der warme Euroregen hielt den starken Mann Polens, den Chef der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, nicht davon ab, zum Großangriff auf die polnische Gerichtsbarkeit zu blasen. Und in Tschechien hat der amtierende Ministerpräsident Andrej Babiš gleich selbst ein Strafverfahren wegen EU-Subventionsbetrugs am Hals.

Das Erwachen der Macht in Brüssel hat lange gedauert. Aber nun ist sie wach. Für den Budgetvorschlag freilich bedarf es eines einstimmigen Beschlusses aller Mitglieder. Das bedeutet für die Nettozahler: hart bleiben. Für Polen oder Ungarn dagegen heißt es: Farbe bekennen. Entweder sie sagen Ja zu Wertekohäsion und Rechtsstaatlichkeit, indem sie etwa der EU-Staatsanwaltschaft beitreten. Oder aber sie bleiben bei ihren "Werten", verlassen den Klub und verzichten auf die EU-Milliarden. (Christoph Prantner, 1.5.2018)