In feinem Zwirn und trotzdem nicht Premier geworden, jedenfalls vorerst: Nikol Pashinjan.

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Auf dem Platz der Republik in Eriwan demonstrieren Zehntausende gegen die Regierung.

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Nach dem Votum wurde Pashinjan von seinen Anhängern frenetisch gefeiert – trotz der Niederlage.

Mit dem Knopfdruck von 101 Abgeordneten kippt der kleine Kaukasusstaat Armenien am Dienstagabend in Sekundenschnelle in eine neue Phase der Unsicherheit und der nunmehr potenziell gewalttätigen Konfrontation zwischen der Staatsmacht und der scheinbar immer nur wachsenden Protestbewegung für mehr Demokratie und Transparenz.

Nach knapp neun Stunden dauernder Aussprache im Parlament war Nikol Pashinjan, der Führer der Protestbewegung "Mein Schritt", mit dem Versuch gescheitert, neuer Ministerpräsident Armeniens zu werden. 56 Abgeordnete der seit zwei Jahrzehnten regierenden Republikanischen Partei Armeniens (HHK) stimmten gegen seine Ernennung, 45 für ihn.

Ziviler Ungehorsam

Pashinjan, ein 42 Jahre alter Journalist, Parlamentarier und langjähriger Politaktivist, trat nach dem Votum im Parlament vor Zehntausenden von Anhängern, die sich seit dem Mittag auf dem Platz der Republik versammelt hatten, dem Hauptplatz im Zentrum von Eriwan, und die Parlamentsdebatte auf einem Bildschirm verfolgt hatten. Während Pashinjan im Parlamentsplenum kühl und mit ruhiger Stimme die Anhörung durch die Abgeordneten absolviert hatte, peitschte er nun seine Anhänger auf.

Mit Aktionen des "zivilen Ungehorsam" soll die Regierungspartei im Parlament zu Pashinjans Ernennung gezwungen werden. "Wir werden alles blockieren!", rief der Führer der Protestbewegung aus. Das Volk solle alle Straßen in der Stadt, alle Verbindungsstraßen auf dem Land und den Flughafen des Landes blockieren. Die Bürger sollen hinausgehen und die Ernennung des "Kandidaten des Volkes" zum Ministerpräsidenten verlangen, sagte Pashinjan. Einen "friedlichen Machtwechsel in Armenien ohne Erschütterungen", gab er als Ziel vor.

"Befreite Bürger"

Je mehr Zeit dieser Prozess in Anspruch nehme, um so mehr würde sich das armenische Volk von allen anderen Nationen in der Welt abheben, schmeichelte Pashinjan seinen Zuhörern auf dem Platz der Republik. Sehr bald würden sie zum Symbol für "freie und befreite Bürger" werden. Ministerpräsidenten und Parlamente seien dagegen zweitrangig, verkündete Pashinjan.

Das armenische Parlament soll nun in einer Woche wieder zusammentreten und über einen Kandidaten für das Amt des Premiers abstimmen. Die seit Mitte April dauernde Protestbewegung hatte den Rücktritt von Serge Sargsjan erzwungen, den zwei Amtszeiten lang, von 2008 bis März 2018 regierenden Staatspräsidenten, der sich anschließend zum Regierungschef in einem nunmehr parlamentarischen Verfassungssystem wählen ließ.

Kalkül der Republikaner

Sargsjan räumte am 23. April angesichts der Dimension der Straßenproteste seine Niederlage ein. Seither amtiert eine Übergangsregierung der Republikaner. Im Parlament haben sie weiterhin die Mehrheit. Übereinkunft zwischen Regierung und Opposition besteht nur darin, dass die derzeitige Krise durch Neuwahlen beendet werden müsste. Das Kalkül der Republikaner ist aber offensichtlich, diese Neuwahlen unter ihrer Regie ablaufen zu lassen.

Die Parlamentsdebatte begann am Dienstag unter eher günstigen Vorzeichen für Pashinjan. Der Fraktionschef der Republikaner, Eduard Sharmasanow, hatte im Vorfeld erklärt, seine Partei werde sich einer Wahl Pashinjans nicht in den Weg stellen, sollten die anderen Parlamentsfraktionen für ihn stimmen.

Letzteres zumindest war auch der Fall: Pashinjan wurde von seinem eigenen Bürgerrechtsbündnis Yelq nominiert, das neun Sitze im Parlament hat. Er erhielt die sieben Stimmen der Nationalistenpartei Dashnaktsutjun (ARF) und auch 29 von 31 Stimmen der größten Oppositionspartei Wohlhabendes Armenien des Milliardärs Gagik Tsarukian. Zwei Abgeordnete der Tsarukian-Fraktion erschienen nicht zur Abstimmung, ebenso ein Abgeordneter der Republikaner. Dafür bekam Pashinjan eine Stimme von den regierenden Republikaner.

Tonfall änderte sich

Nach dem ersten Dutzend Fragen der Abgeordneten an Pashinjan wurden die Republikaner merkbar aggressiver. Der Tonfall änderte sich, eine Vielzahl der Regierungspolitiker stellte Pashinjans Qualifikation für das Amt des Ministerpräsidenten in Frage.

Der Ausgang der nächsten Abstimmung am 8. Mai scheint nun offen, vor allem, weil die weitere Entwicklung der Straßenproteste nicht klar ist. Sollte es erneut keine Mehrheit für einen Ministerpräsidenten geben, wird das Parlament automatisch aufgelöst, und die von den Republikanern kontrollierten staatlichen Institutionen organisieren Neuwahlen. (Markus Bernath, 1.5.2018)