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Anhänger des armenischen Regimegegners Nikol Pashinjan blockieren seit Mittwochmorgen die Zufahrtsstraßen zum Flughafen von Eriwan. Pashinjan hatte zu einer Totalblockade des Landes und einem Generalstreik aufgerufen, nachdem am Vortag seine Wahl zum Regierungschef im Parlament gescheitert war.

AP / Sergej Grits

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Immer Opposition: Der heute 42-jährige Journalist, Parlamentarier und Politaktivist Nikol Pashinjan hat Ende der 1990er als Unterstützer des ersten Präsidenten Levon Ter-Petrosjan (1991–1998) seine Karriere als Regimegegner in Armenien begonnen.

Reuters / Gleb Garanich

Nach dem gescheiterten Regierungswechsel macht die Protestbewegung in Armenien weiter Druck auf die Staatsmacht. Anhänger des Regimegegners Nikol Pashinjan sind seit Mittwochmorgen auf den Straßen der Hauptstadt Eriwan unterwegs. Die Schnellstraße in Richtung Georgien ist laut Berichten armenischer Nachrichtenagenturen besetzt, ebenso die Zufahrt zum Flughafen in Eriwan. Auch einige Zugverbindungen wurden am Mittwochnachmittag eingestellt – zu viele Demonstranten würden die Gleise blockieren.

Pashinjan hatte die Bürger zu einem Generalstreik und einer Blockade aller Straßen aufgerufen. Damit versucht er seine Ernennung zum Regierungschef im Parlament zu erzwingen. Die Protestbewegung fordert Demokratie und Transparenz.

Die Galerie der Revolutionsführer in den einstigen Republiken der Sowjetunion ist damit um einen Kopf reicher: Denn mit Pashinjan will sich nun auch in Armenien ähnlich wie im Nachbarland Georgien, in der Ukraine und Kirgisistan vor mehr als einem Jahrzehnt ein Regimegegner mithilfe der Straße durchsetzen.

Vorsichtig mit Moskau

Seinen Sieg versucht Pashinjan allerdings anders zu erringen als Michail Saakaschwili 2003, Wiktor Juschtschenko 2004 oder gar die Euromaidan-Revolutionäre von 2013/14. Zum einen hütet er sich davor, Russland zu verprellen. Der 42-jährige Journalist, Parlamentarier und Politaktivist verfolgte zum anderen parallel zu den Straßenprotesten bisher auch den vorderhand rechtlichen Weg der neuen Verfassung, um an die Macht zu kommen.

Im Parlament ließ er sich als Kandidat der Opposition für das Amt des Ministerpräsidenten nominieren. Bei der Abstimmung am Dienstagabend versagte ihm aber die weiterhin regierende Partei der Republikaner aber die Unterstützung. Pashinjans eigene Fraktion im Parlament ist nur neun Köpfe groß. Am 8. Mai muss das Parlament nun gemäß der Verfassung einen neuen Anlauf für die Wahl eines Regierungschefs unternehmen.

Oppositionsblatt als Start

Am 23. April kapitulierte der langjährige frühere Staatschef und gerade neugewählte Ministerpräsident Serge Sargsjan vor den immer größer werdenden Straßendemonstrationen. Diszipliniert und entschlossen hat Pashinjan bisher den Machtwechsel in Armenien durchgeboxt. Pashinjan ist ein Profi in Sachen Bürgerprotest. Seit er 1999, als 24-Jähriger, Chefredakteur der damals neuen Oppositionszeitung "Haykakan Zhamanak" (Armeniens Zeit) wurde, steht Pashinjan in erbitterter Gegnerschaft zu den Regierenden im Kaukasusstaat.

Lange Jahre ist er ein Gefolgsmann von Armeniens ersten Präsidenten Lev Ter-Petrosjan (1991–1998). Als Petrosjan 2008 wieder die politische Bühne betritt und für das Präsidentenamt kandidiert, ist Pashinjan der Einheizer bei den Wahlkampfauftritten des früheren Staatschefs. Doch mit der Zeitung "Haykakan Zhamanak" – den Verlag führt seine Frau Anna Hakobijan – und seinen eigenen Leitartikeln formte Pashinjan über die Jahre auch einen Teil des zivilgesellschaftlichen Diskurses in Armenien.

Zwei Jahre Haft

Die Präsidentenwahl 2008 ist gleichwohl eine Zäsur für Pashinjan wie für das Land insgesamt. Petrosjan erkennt das Wahlergebnis nicht an, Pashinjan organisiert die Protestbewegung gegen den Gewinner Serge Sargsjan. Mindestens zehn Menschen sterben in Eriwan bei der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste. Pashinjan wird als Rädelsführer gesucht und verbirgt sich mehr als ein Jahr in der Hauptstadt. Im Juni 2009 stellt er sich der Polizei, wird inhaftiert und bleibt zwei Jahre im Gefängnis, bis er durch eine Amnestie von Sargsjan wieder freikommt.

Im Gefängnis schrieb Pashinjan weiter für seine Zeitung und kandidierte sogar für Petrosjans Partei bei einer Nachwahl für einen Parlamentssitz in Eriwan. Er verliert diese von Unregelmäßigkeiten geprägte Wahl, zieht aber 2012 bei der regulären Wahl als Abgeordneter ins Parlament ein. In der Folgezeit distanziert sich Pashinjan von seinem Mentor Petrosjan und gründet die Bürgerpartei Civil Contract. Bei der nächsten Parlamentswahl 2017 ist er Teil des Parteienbündnisses Yelq – der Ausweg.

Castro-Bart und Militärkleidung

Als im März dieses Jahres klar wird, dass Sargsjan sein Wort nicht hält und nach dem von ihm betriebenen Verfassungswechsel sehr wohl selbst das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen wird, schaltet Pashinjan wieder auf Revolutionsmodus. Anzug und Krawatte legt er ab, dafür tritt er fortan mit Baseballmütze, Militärkleidung und einem Rucksack auf. Er lässt sich einen Vollbart wachsen, und als er sich an den Stacheldraht-Absperrungen verletzt, die die Polizei gegen die Demonstranten errichtet hat, läuft Pashinjan auch noch mit einer dick einbandagierten rechten Hand herum. So sitzt er dann auch Sargsjan in der Lobby des Marriott-Hotels in Eriwan gegenüber, wo er vor laufenden Kameras ultimativ den Rücktritt des Ministerpräsidenten fordert.

Իմ քայլը

Unterstützt wurde Pashinjan bei seinem ersten Versuch, zum Regierungschef gewählt zu werden, von der zweitgrößten Fraktion im Parlament, der Partei Wohlhabendes Armenien des Oligarchen Gagik Tsarukian. Ihn hatte Pashinjan im Jahr 2004 für ein versuchtes Attentat verantwortlich gemacht: Pashinjans Auto war auf dem Parkplatz vor seiner Zeitung explodiert, der heutige Führer der Protestbewegung entging nur knapp dem Tod. Jetzt sitzt Tsarukian erst einmal mit im Boot bei Pashinjan und wird wohl bei der Bildung eines Übergangskabinetts mitreden – sofern es dazu noch kommt. Pashinjan selbst zeigt keine Zweifel, dass er seine Versprechen für eine wahre Demokratie und ein Ende der Korruption einlösen kann. "Natürlich", sagt er, "ansonsten wird dieser ganze Prozess hier keine Bedeutung haben." (Markus Bernath, 2.5.2018)