Im November letzten Jahres verbrachte ich zwei eher ungewöhnliche Arbeitstage im norwegischen Borre damit, 50 Fische auszunehmen, das Innere eines Museums mittels Laserscanning zu vermessen, einen enormen Scheiterhaufen abzubrennen und ein "Neugeborenes" in den Schlaf zu wiegen.

Wie im Archäologieblog bereits berichtet, umfasst die Arbeit eines Archäologen nicht nur Forschung und Denkmalschutz, sondern auch die Wissensvermittlung. Darunter fallen öffentliche Vorträge, populärwissenschaftliche Bücher, Radio-, Zeitungs- oder Fernsehinterviews, Science-Events, Ausstellungen in Museen und nicht zuletzt wissenschaftliche Dokumentationen.

Erlebbare Archäologie

All diese unterschiedlichen Formate funktionieren am besten, wenn sie von anschaulichem Material begleitet werden, um die Vergangenheit für den interessierten Laien sozusagen wiederauferstehen zu lassen. Denn oft ist es nicht einfach, sich basierend auf den archäologischen Überresten – wie zum Beispiel einer kleinen Anzahl von Pfostenlöchern – eine wikingerzeitliche Siedlung vorzustellen; das gilt übrigens auch für Archäologen.

Früher wurden dafür vor allem zeichnerische Rekonstruktionen eingesetzt, die jedoch auf das Betrachten beschränkt bleiben. Heute verwendet man in der Regel virtuelle Rekonstruktionen, die dreidimensional am Computer entstehen und den Vorteil bieten, die Vergangenheit interaktiv erlebbar zu machen. Der Betrachter kann sozusagen in eine bestimmte Kultur oder eine Fundstelle eintauchen, sich darin bewegen, seine Perspektive wechseln und seine Umgebung auf eigene Faust erkunden.

Virtuelle Welten werden am Computer erstellt und gerendert.
Foto: 7reasons

Königsklasse Rekonstruktion

Die Königsklasse des Erlebbaren in der Archäologie – von original erhaltenen Monumenten wie den Pyramiden oder dem Kolosseum natürlich abgesehen – ist und bleibt aber die tatsächliche Rekonstruktion. Die Möglichkeit, die Vergangenheit mit allen Sinnen zu erfassen, den Rauch einer Feuerstelle zu riechen, das Halbdunkel in einem Gebäude ohne Fenster zu erleben, Speisen zu kosten, Baumaterial zu ertasten – damit kann die virtuelle Rekonstruktion (noch) nicht konkurrieren. Tatsächliche Rekonstruktionen sind jedoch arbeits- und zeitaufwendig, müssen erhalten und ihr Besuch muss geregelt werden – und das ist teuer und verlangt zumeist Infrastruktur.

Modellierte Hypothese zur Hafenanlage in Borre.
Foto: 7reasons

Virtuelle Installationen

Einen Mittelweg zwischen diesen beiden Alternativen hat das Midgard Historisk Senter in Borre eingeschlagen. Das kleine Museum, das den Borre National Park mit seinen monumentalen Grabhügeln betreut, hat vor wenigen Tagen die neue Ausstellung "Hauger, Halle, Hav" (Grabhügel, Halle, Hafen) eröffnet, die das Leben der späten Eisenzeit in diesem Teil Norwegens zum Thema hat. Dabei kann der Besucher neben ausgewählten Fundstücken und erklärendem Text die neuesten Forschungsergebnisse durch eine ganze Reihe von virtuellen Installationen erleben, die gemeinsam von der österreichischen Firma 7reasons und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie konzipiert und produziert wurden.

Das 3D-Modell von Borre mit projizierten Karten.
Foto: Georg Zotti/LBIArchPro

Interaktive Karte

Dazu zählt auch ein 3D-Modell, das die archäologische Landschaft von Borre in einem Maßstab von 1:375 abbildet und das mittels 3D-Drucker hergestellt wurde. Verschiedene zweidimensionale Karten werden mittels zweier Projektoren auf das dreidimensionale Modell projiziert, um so dem Besucher einen Überblick über Landschaftsentwicklung zu bieten und neueste Forschungsergebnisse zu präsentieren. Ein weiteres Highlight findet sich im nächsten Raum: eine interaktive Karte, die durch die Bewegungen der Besucher gesteuert wird und die Handels- und Raubzüge der Wikinger nachzeichnet.

Interaktives Erleben: Informationen zu Raubzügen und Handelsreisen der Wikinger können mittels Bewegungen gesteuert werden.
Foto: Georg Zotti/LBIArchPro, 7reasons

Filmdreh in Borre

Im dritten Raum werden die Besucher auf eine Reise durch Leben und Sterben in der Wikingerzeit geschickt – mittels eines Filmes, der unter anderem im November gedreht wurde und mir die oben erwähnten ungewöhnlichen Arbeitstage beschert hat.

Das Midgard Historisk Senter kann nämlich nicht nur mit den bekannten monumentalen Grabhügeln aufwarten; seit 2007 wissen wir durch geophysikalische Untersuchungen, dass hier auch späteisenzeitliche Hallen gestanden sind, die als Versammlungsorte mit zeremoniellem Charakter interpretiert werden. Basierend auf den archäologischen Befunden vor Ort wurde von 2011 bis 2013 die "Gildehallen" von Borre errichtet. Dieser imposante, 36 Meter lange, zehn Meter breite und 12,5 Meter hohe Bau ist einzigartig und eignete sich darum hervorragend als Kulisse für den Filmdreh zur Ausstellung.

Die rekonstruierte Halle mit einer Länge von 36 Metern und einer Höhe von 12,5 Metern.
Foto: Georg Zotti/LBIArchPro

Wissenschaftlich belegte Ausstattung

Verschiedene Szenen, darunter ein Schwertkampf, die Vorbereitungen für ein Festmahl, das eigentliche Trinkgelage, eine Brandbestattung und Alltagsszenen, wurden an einem Wochenende im November in Borre gedreht. Um solche Aufnahmen detailgetreu und wissenschaftlich korrekt in Szene zu setzen, sind zumeist auch Archäologen involviert.

Die Ausstattung, also zum Beispiel Hausrat, Essen, Waffen und Werkzeuge ebenso wie Kleidung, sollte im besten Fall wissenschaftlich belegt oder zumindest plausibel sein, sonst landet man schnell auf Erich-von-Däniken-Niveau. Tatkräftige Unterstützung erhielten wir dabei auch von örtlichen Re-Enactment-Gruppen, die sich als Laiendarsteller zur Verfügung stellten.

Szene eines Festmahls, gedreht in der Halle von Borre.
Foto: 7reasons

Den Samstagvormittag verbrachte ich damit, die Räumlichkeiten der späteren Ausstellung mit dem Laserscanner zu vermessen, damit 7reasons die virtuellen Installationen genau einpassen kann. Am Nachmittag wurde ich dann mit der überraschenden Aufgabe betraut, 50 Fische für den Dreh des Festmahls auszunehmen und zu säubern. Als auch das erledigt war, entdeckte die Re-Enactment-Gruppe, dass ich noch nicht eingekleidet war, und steckte mich flugs in ein Leinenhemd und eine wollene Tunika. So ausgestattet, musste ich das restliche Wochenende in der etwas verrauchten Halle kochen und mich um "meine" sieben Kinder kümmern.

Der fertige Film in Kombination mit den virtuellen Installationen, den Fundstücken und nicht zuletzt der imposanten rekonstruierten Halle und den monumentalen Grabhügeln – all das vermittelt den Besuchern des Midgard Historisk Senter seit letzter Woche im Rahmen der neuen Ausstellung einen umfassenden Eindruck vom Leben der späten Eisenzeit in Borre. Und ich habe dabei gelernt, dass ich nicht schauspielen kann und dass das Leben einer Archäologin selten langweilig wird. (Petra Schneidhofer, 3.5.2018)