Nigel Farage, Anführer der Brexit- Bewegung, versteht sich derzeit offensichtlich bestens mit Kommissionschef Juncker (rechts).

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Bevor man sich an die konkrete Bewertung des langfristigen EU-Budgetrahmens mache, müsse man sich zuallererst "mit der Dimension auseinandersetzen", die sich mit dem Austritt Großbritanniens per Ende März 2019 auftue, heißt es in deutschen Regierungskreisen.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am Mittwoch im Europäischen Parlament in Brüssel Vorschläge seiner Behörde vorgetragen, welche politischen Zielsetzungen sie für die Jahre 2021 bis 2027 kalkuliert und wie diese budgetär bedeckt werden.

Kritik am Budgetvorschlag der EU-Kommission kommt aus Österreich. Eine durch den "Brexit" kleinere EU müsse auch ein kleineres Budget haben, heißt es seitens der Regierung in Wien.
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Statt knapp unter einem Prozent der Wirtschaftskraft der EU-28 – wie noch im Budgetrahmen 2014 bis 2020 vorgesehen – sollen die EU-27-Staaten nach dem Brexit bis zu 1,11 Prozent des BIP aufwenden. Für sieben Jahre ab 2021 würde das bei den echten Zahlungsermächtigungen eine Steigerung von 1026 Milliarden Euro auf 1105 Mrd. bedeuten (Preisbasis 2018).

ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet, was das Nein der Bundesregierung zum EU-Budgetvorschlag bedeutet, und über die Pläne der EU, Einnahmen zu lukrieren, die direkt an sie fließen sollen.
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In Verpflichtungsermächtigungen ausgedrückt (Projekte, die die Kommission theoretisch versprechen darf, ohne dass Geld fließt), wären die Beträge entsprechend höher: statt 1087 Mrd (1,03 Prozent BIB) stünden 1135 Mrd zur Verfügung (alles auf Preisbasis 2018). Die Kommission gibt diese maximalen Ermächtigungen gern inflationsbereinigt an, was die Summen erhöht, aber Vergleiche erschwert: 1279 Mrd Euro (siehe Grafik unten).

Sparallianz reagiert scharf

Während Frankreich vor allem geplante Kürzungen im Agrarbereich kritisierte, zeigten sich andere Regierungen der Mitgliedsstaaten skeptisch wegen der Höhe der Ausgaben. Am schärfsten fiel die Kritik bei den eher kleinen Nettozahlern aus, allen voran Österreich und die Niederlande. Auch Schweden und Dänemark haben Einwände. In Deutschland betonten Außenminister Heiko Maas und Finanzminister Olaf Scholz, dass es auf eine "faire Lastenverteilung" ankomme. Der Kommissionsvorschlag sei nur ein erster Schritt zu Verhandlungen. Die Union müsse richtige Schwerpunkte setzen, bei Außengrenzschutz und Verteidigung.

Relativ scharf ablehnend äußerte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): Der Vorschlag von Budgetkommissar Günther Oettinger sei "weit davon entfernt, akzeptabel zu sein". Es müsse das Ziel sein, dass die EU nach dem Brexit "schlanker, sparsamer und effizienter" werde. Harte Verhandlungen stünden bevor, was auch der niederländische Außenminister Stef Blok so sieht: Sein Land wolle weniger in den EU-Haushalt einzahlen – nicht mehr. Sollte das nicht möglich sein, müssten die bestehenden Budgetrabatte für die Niederlande erhalten werden.

Empfindliche Steigerungen drohen

Die frühen Festlegungen sind nicht ganz zufällig, wie ein Budgetexperte dem STANDARD erklärte. Würde man den Budgetvorschlag umsetzen, drohten bisherigen Nettozahlerländern empfindliche Steigerungen nicht nur der realen Einzahlungen ins EU-Budget, sondern auch der Nettobeiträge.

Österreichs Nettobeitrag (2016: 970 Millionen Euro) könnte sich dann ab 2021 glatt verdoppeln, wurde dem STANDARD bestätigt.

Der EU-Vorschlag für den Finanzrahmen 2021–2027.

Die Regierung in Berlin rechnet damit, dass allein das Halten des bisherigen Beitragsniveaus von knapp einem Prozent des BIP die deutschen Steuerzahler rund zehn Mrd. Euro kosten würde – pro Jahr. Das sei die Folge des EU-Austritts der zweitgrößten Volkswirtschaft, nämlich Großbritanniens.

Wegen des "Brexit" soll Österreich 500 Millionen Euro mehr ins EU-Budget zahlen. Das sei "so nicht akzeptabel", sagte Europaminister Gernot Blümel am Mittwoch in der ZIB 2.
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Die von Juncker angepeilte Erhöhung des Budgetrahmens auf 1,11 Prozent des BIP würde noch draufgesattelt, zulasten der Nettozahler. Am Ende könnte sich auch der Nettobeitrag Deutschlands verdoppeln, des mit Abstand größten Einzahlers in die Unionskasse (2016: 10,99 Mrd. Euro netto). Auch wenn die verschiedenen EU-Politiken auf die einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedlich wirken, träfe es die Niederlande ähnlich. Dass Außenminister Blok die Budgetrabatte erwähnt, ist kein Zufall. Es gibt sie wegen des britischen Rabatts. Oettinger will sie abschaffen. Den Haag bekam im letzten Rahmen eine jährliche Gutschrift von fast 800 Mio. Euro, Österreich eine von 150 Mio., zuletzt 110 Mio. Euro.

Bauern besonders betroffen

Im Bundeskanzleramt in Wien will man diese Rechnungen offiziell nicht bestätigen. Ein Blick auf das laufende Budgetrahmenprogramm (2014 bis 2020) macht aber klar, warum die Brüsseler Budgetpläne für Kurz wenige Wochen vor Übernahme des EU-Vorsitzes eher unangenehm sind. Österreich hatte damals im letzten Moment besonders gute Konditionen für die Bauern (Berglandwirtschaft) herausgehandelt.

Oettingers Agrarkürzungen beträfen besonders Kleinbauern, die aus EU-Töpfen mit Ausgleichszahlungen bedacht wurden. Von 1,75 Milliarden Euro, die Wien aus EU-Fonds 2017 bekommen hat, gingen 875 Millionen in die ländliche Entwicklung. Anders ausgedrückt: Es gibt im Land 160.000 landwirtschaftliche Betriebe, mehr als die Hälfte davon Nebenerwerbsbauern, die Kürzungen befürchten. (Thomas Mayer, 2.5.2018)