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Optimismus nach der Niederlage im Parlament: Nikol Pashinjan.

Foto: Reuters / Gleb Garanich

Eriwan – Sie tanzen vor dem Außenministerium auf dem Platz der Republik, Alt und Jung, geben eine choreografische Einlage vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten auf der Baghramjan-Straße oder setzen sich einfach auf die Zebrastreifen der großen Boulevards im Zentrum von Eriwan, von einer Straßenseite zur anderen. Die Revolution in Armenien geht in einer karnevalesken Atmosphäre weiter. Dabei ist allen bewusst: Seit dem Scheitern von Nikol Pashinjan im Parlament am 1. Mai ist der Machtkampf in Armenien in eine neue Runde mit ungewissem Ausgang gegangen.

Pashinjan selbst, der 42-jährige Anführer der Protestbewegung, ging am Mittwoch vom Morgen an mit einem Megafon in der Hand durch die Straßen der Hauptstadt, begleitet von seiner Frau und Tausenden von Anhängern, und rief die Bürger zum Mitmachen auf. Generalstreik und ziviler Ungehorsam sind die Losung.

Boykott des Parlaments

Regierungschef ist Pashinjan im ersten Anlauf nicht geworden. Die republikanische Partei, die immer noch an den Schalthebeln der Macht sitzt, hat ihm im Parlament die Mehrheit versagt. Doch dieses kleine Land von drei Millionen Menschen scheint dem Führer der "Samtenen Revolution", wie sie wegen ihrer Gewaltlosigkeit bereits genannt wird, zuzufallen. Am Nachmittag hat der Kulturminister Armen Amirjan nach einem Treffen mit Oppositionellen seinen Rücktritt erklärt.

In Eriwan stand am Mittwoch der Verkehr still. Auch die Landstraßen zwischen den größeren Städten waren blockiert, ebenso wie die Zufahrt zum Flughafen der Hauptstadt. Die Polizei hielt sich zurück und schaute zu. Auch wichtige Zugverbindungen wurden unterbrochen.

Die größte Oppositionspartei, die Partei "Wohlhabendes Armenien" des Oligarchen Gagik Tsarukian, erklärte am Mittwoch einen Boykott des Parlaments. Sie ist schon ins Lager Pashinjans gewechselt. In der Republikanischen Partei wiederum, die Armenien seit 20 Jahren regiert, gärt es. Drei der 58 Parlamentsabgeordneten der Partei brachen bis Mittwoch mit der Führung. Nicht viel, doch über den weiteren Weg wird intern heftig gestritten: aufgeben oder bis zur nächsten Parlamentssitzung am 8. Mai warten, wenn ein zweiter Versuch für die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten ansteht? Pashinjan dann doch ins Amt verhelfen, um die Lage zu beruhigen, oder gar einen eigenen Parteimann als Premier nominieren und durchboxen?

Auch Pashinjan zeigte sich unschlüssig. Er wüsste noch nicht, ob er noch einmal antritt, er müsse darüber nachdenken, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters in Eriwan.

Zu viel ist jetzt im Fluss. Neuwahlen in Armenien sind das Ziel. Wer die Aufsicht über sie führt, ist die große Frage – die Republikanische Partei mit ihrer geschäftsführenden Regierung oder die Protestbewegung und ihr "Kandidat des Volkes", wie sich Pashinjan selbst bezeichnet.

Pashinjan ist ein Profi in Sachen Bürgerprotest. Seit er 1999, als 24-Jähriger, Chefredakteur der damals neuen Oppositionszeitung Haykakan Zhamanak (Armeniens Zeit) wurde, steht Pashinjan in erbitterter Gegnerschaft zu den Regierenden im Kaukasusstaat.

Der Einheizer

Lange Jahre ist er ein Gefolgsmann von Armeniens erstem Präsidenten Lev Ter-Petrosjan (1991–1998). Als Petrosjan 2008 wieder die politische Bühne betritt und für das Präsidentenamt kandidiert, ist Pashinjan der Einheizer bei den Wahlkampfauftritten des früheren Staatschefs. Doch mit der Zeitung Haykakan Zhamanak – den Verlag führt seine Frau Anna Hakobian – und seinen eigenen Leitartikeln formte Pashinjan über die Jahre auch einen Teil des zivilgesellschaftlichen Diskurses in Armenien.

Die Präsidentenwahl 2008 ist gleichwohl eine Zäsur für Pashinjan wie für das Land insgesamt. Petrosjan erkennt das Wahlergebnis nicht an, Pashinjan organisiert die Protestbewegung gegen den Gewinner Serge Sargsjan. Mindestens zehn Menschen sterben in Eriwan bei der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste. Pashinjan wird als Rädelsführer gesucht und verbirgt sich mehr als ein Jahr in der Hauptstadt. Im Juni 2009 stellt er sich der Polizei, wird inhaftiert und bleibt zwei Jahre im Gefängnis, bis er durch eine Amnestie von Sargsjan wieder freikommt.

Pashinjan zieht 2012 als Abgeordneter der Petrosjan-Partei erstmals ins Parlament, distanziert sich aber dann und gründet seine eigene Bürgerpartei Civil Contract. Die "Schule der Zivilgesellschaft" sei das Wichtigste, was er seinen vier Kindern mitgebe, sagte Pashinjan bei seiner Anhörung im Parlament am Dienstag.

Anders vor allem als Michail Saakaschwili, der im Nachbarland Georgien 2003 die "Rosenrevolution" anzettelte, hütet sich Pashinjan davor, Russland zu verprellen, Armeniens wichtigste Stütze.

Protest-Pause am Donnerstag

Für Donnerstag kündigte Pashinjan aber eine Protest-Pause an. Er möchte mit der regierenden Partei im Parlament darüber verhandeln, ihn als Premierminister einzusetzen. (Markus Bernath, red, 2.5.2018)