Beim gegenseitigen Erschrecken kann man planen oder einfach nur Glück haben.

Foto: Bogumil Balkansky

Seit 1991 lebe ich immer mit derselben Frau. Und wundere mich, warum sie das aushält. Nun meine ich eine Antwort zu haben: Sie ist mir in der amüsanten Disziplin der Retourkutsche haushoch überlegen. In jeder Hinsicht.

Das Schwert der Judith

Seit wir miteinander leben, gehört das gegenseitige Erschrecken zum festen Programm. Ich bin sicher, auch andere Paare zelebrieren diese Form des "social bonding", abgesehen vielleicht von Zeugen Jehovas und Salafisten, denen man notorische Humorlosigkeit in allen Belangen nachsagt. Wir jedenfalls genießen jeden dieser kleinen, gemeinen Höhepunkte, die zumindest einem von uns manchmal den besonders langweiligen Tag retten.

Beim gegenseitigen Erschrecken kann man planen oder einfach nur Glück haben. Meist folgt einem spontanen Erschrecken aus günstiger Gelegenheit eine Retourkutsche, die gut geplant, manchmal regelrecht elaboriert ist. In dieser Geschichte gebe ich meiner Freundin den Namen Judith, weil sie mich so listig erwischt, wie es einst Holofernes widerfährt. Allerdings bleibt mein Kopf dran.

Meisterin des geplanten Rückspiels

Judith ist eine Meisterin des geplanten Rückspiels, ich habe meist nur Glück. Doch diesmal lande ich im UKH Meidling.

Der Anlass ist gering: Ich erschrecke Judith mehr oder minder zufällig, als ich lautlos hinter ihr stehe, bis sie sich umdreht. Und dann laut sage: "Guten Morgen, Schatz!" Meine Sünde, die mir ihren Zorn und ihre Rache einträgt, ist nicht das Erschrecken selbst, sondern dass es noch vor dem Kaffee und dem Morgenjoint erfolgt. Das bedeutet Krieg.

Judith lässt einige Tage verstreichen. Listig. Lauernd. Dann versteckt sie sich hinter dem Regenmantel, der an einem Haken im Vorzimmer hängt. Hier ist es immer dunkel. Sie steckt ihre Arme in die Ärmel des Mantels und wartet. Später erfahre ich, dass es gut eine Stunde gebraucht hat, bis ich in der richtigen Position zum Mantel stehe. Als es so weit ist, hebt Judith nur lautlos ihre Arme in meine Richtung, als ob der Mantel mich in die Wand zerren will.

Das Adrenalin kickt mich wie ein Maultier, und ich donnere eine Gerade auf die Stelle, wo der Kopf des Mantels sein sollte. Aber da ist nur die Wand. Eine Ziegelwand. Im Unfallkrankenhaus in Meidling sagt man mir, ich müsse jetzt für die nächsten zwei Monate lernen, mit der linken Hand zu onanieren.

Judith sagt: "Tja, Ärzte – nichts Menschliches ist ihnen fremd ..."

Captain Kirk ist homophob

Es ist einer dieser lieblich-melancholischen Abende im Frühling. Wir verbringen ihn bei einem Glas Wein und einer Doku über die Dinosaurier. Judith schläft etwa fünf Millionen Jahre vor dem Meteoreinschlag ein. Ich halte tapfer bis zum traurigen Ende der Dinos durch.

Am nächsten Morgen bin ich trotzdem vor ihr munter, trinke Kaffee und rauche, während ich geistfrei im Universum Facebook rumnörgle, dass mir Religionsfanatiker auf die Nerven gehen. Judith wankt in die Küche und fragt, ob es Kaffee gibt. Während ich eingieße, Honig dazumische und einen Schuss Milch dazugebe, fragt Judith weiter: "Was ist noch mit den Dinos passiert?"

So was nennt man "aufgelegt". Ich antworte: "Eine traurige Story, mein Schatz! Stell dir nur vor! Die armen Dinos sind alle gestorben!" Danach kichere ich noch lange, wie eine alte Zuhälterin im Rumrausch. Judith schnappt die Kaffeetasse und dreht sich wortlos zur Tür. Etwas später sitzt Judith vor dem Fernseher und trinkt ihren Kaffee. Ich höre sie sagen: "Hey! Mann! Der Käpt'n der Enterprise ist gefeuert!"

Als fast (was heißt "fast" – ganz und gar!) religiös-fanatisches Trekkie-Urgestein spüre ich in diesem Moment eine ernsthafte Erschütterung im Gefüge der Macht, weil ich auch ein "Star Wars"-Fanatiker bin. Kapitän Kirk gefeuert!? Ich stottere fast: "W... arum haben die Käpt'n Kirk gefeuert?" Ihre Antwort hallt in meinem Kopf wie der Donner der Götterdämmerung: "Er ist ein Schwulenhasser!" Ich bin verzweifelt: "Kapitän James Tiberius Kirk vom Raumschiff Enterprise ist ein mieser kleiner Homophober!?"

Als ich aufblicke, steht Judith vor mir und lächelt sanft. Sie hält die Kaffeetasse in der Hand, eine nackte, strahlende Göttin der Retourkutsche. Und sagt: "Nein, kleiner Muck! Nicht Kapitän Kirk von deinem Traumschiff! Es ist Kapitän Owen Honors, ein echter Kapitän zur See vom echten atomar betriebenen Flugzeugträgerschiff Enterprise der US Navy."

Und dann schneidet mir Judith den Kopf ab: "Ach, Schatz! Noch was: Hast du nach zwanzig plus Jahren noch immer nicht geschnallt, wie unendlich wurscht mir 'Star Wars' ist?"

Mein Kopf sackt kraftlos in meinen Brustkorb. Ich löse mich im Nichts auf. Nur noch mein Umhang und das Lichtschwert liegen am Küchenboden. Und mein Kommunikator.

Rrrrispect!

Nein! Kirschen zu essen ist mit Judith nicht zu empfehlen. Das musste auch ein "Entertainer" aus der Dom-Rep zur Kenntnis nehmen. Nennen wir ihn Jose. Gegen Ende des Urlaubs kommt eine neue Band in das All-inclusive-Resort. Jose ist der Leadsänger. Und er singt schön, mag schöne Frauen und macht vielen schöne Augen. Besonders Judith. Doch Judith ist nicht in Stimmung.

Judith kommt auch nicht in Stimmung, als ihr Jose in der weitläufigen Anlage auflauert. Und versucht, ihrer Lust nachzuhelfen. Mag sein, dass Jose Gewalt als Aphrodisiakum empfindet, und mag sein, dass Jose glaubt, heute wäre sein Tag. Aber es ist nicht sein Tag. Judith bricht ihm wortlos das Nasenbein. Und raucht eine Zigarette.

Den jungen Mann aus Jamaica nennen wir Joseph. An einer kleinen Strandbar möchte er Judith so nahe wie möglich kennenlernen. Doch Judith lernt schon letzte Nacht sehr viel von Maryann aus L.A. kennen. Und beide wollen noch einige Tage miteinander spielen, bis Maryann zu ihrer Freundin in den US of A fliegt. Somit hat Judith keinen unmittelbaren Penisbedarf. Aber Joseph weiß das nicht.

Zunächst ist Joe noch cool und sogar witzig. Aber bald wird er ungeduldig. Und uncool. Trotzdem versucht es Judith mit Diplomatie. Und sagt lächelnd: "Fuck off!" Einigen der Anwesenden Mr. Cools entweichen Geräusche der Überraschung. Josephs "Ehre" steht auf dem Spiel, und er zückt ein Messer. Er steht direkt vor Judith und fuchtelt mit der Klinge vor ihrem Gesicht. Aber er steht breitbeinig. Ein mächtig großer Fehler!

Die anderen Mr. Cools haben plötzlich Eiligeres zu tun und verlassen die Theke, unter der sich Joseph windet und die Hände hilflos auf seine getretenen Eier presst. Judith bleibt diplomatisch: "Told ya!" Sie kippt den Rest vom Red Stripe aus ihrer Flasche und reitet langsam in den Sonnenuntergang. Wo Maryann auf sie wartet.

Judith lieben

Ich liebe sie, wenn sie Sprichwörter vermischt und sagt: "Wer im Glashaus sitzt, sollte keine Grube graben." Ich liebe sie, wenn ich sie korrigiere und sage: "Nein, Schatz! Das heißt: Wer einem anderen eine Grube gräbt, ist ein Hilfsarbeiter!" Ich liebe sie, wenn sie mir dann antwortet: "Fick dich, du Klugscheißer!"

Ich liebe sie, wenn sie links mit rechts verwechselt und ich ihr sage: "Das andere Links, mein Schatz!" Und ich liebe sie, wenn sie mir antwortet: "Letztes Mal war es das andere Rechts! Kannst du dich mal präzise ausdrücken, du Dolm!"

Ich liebe sie, wenn ich sage: "Morgen ist das Kind bei Oma und Opa! Wir ficken!" – und wenn sie mit ehrlicher Überraschung in der Stimme fragt: "Warum?"

Ich liebe sie nicht, weil sie schön ist, sondern trotzdem. Aber am meisten liebe ich sie, weil sie ein großes Herz hat. Und sich trotzdem nicht herumschubsen lässt.

Gewidmet: Judith. Wem sonst? (Bogumil Balkansky, 4.5.2018)