Sebastian Schlund erforscht an der Technischen Uni Wien die Interaktion von Mensch und Maschine. In hybriden Teams lernen Mitarbeiter künftig auch vom Roboter.

Foto: Hanns Maier / Stuttgart

STANDARD: Wenn man sich eine Industrie-4.0-Fabrik vorstellt, gibt es eine Fraktion, die davon ausgeht, dass sie menschenleer ist, und eine, die sagt, dass dort Menschen arbeiten. Zu welcher zählen Sie?

Sebastian Schlund: Klar zur Letzteren. Es gibt zwar heute schon Fabriken, in denen kein Mensch arbeitet, aber es gibt auch Tätigkeiten, die nicht automatisierbar sind, da es zu teuer oder nicht sinnvoll wäre, weil man Flexibilität verliert.

STANDARD: Welche Tätigkeiten werden Menschen künftig ausüben?

Schlund: Solche mit Kreativität, Empathie, Wahrnehmung und Geschicklichkeit. Also wenn ein Prozess verbessert werden soll und es dafür keine Daten gibt, wenn riskante oder ungeplante Entscheidungen getroffen werden oder manuelle Geschicklichkeit nötig ist.

STANDARD: Und wo braucht es keine Arbeitnehmer mehr?

Schlund: Bei monotonen Routinetätigkeiten. Es hängt aber vom Produkt, der Nachfrage und Tätigkeit ab. Einfache Schraubarbeiten fallen darunter, aber nicht die Fertigung einer Tunnelbohrmaschine.

STANDARD: Sie haben mal gesagt, dass nichtergonomische Tätigkeiten auch automatisiert werden ...

Schlund: Das passiert bereits. In der Automobilbranche entlasten Roboter Mitarbeiter in Tätigkeiten, die ergonomisch rot oder gelb klassifiziert sind. So kann man die Produktivität heben und die Arbeitsbedingungen verbessern.

STANDARD: Trotz Automatisierung wird die Produktion also humaner?

Schlund: Nicht zwangsläufig, manche sprechen wegen der möglichen kleinteiligen Überwachung sogar vom Neotaylorismus. Andererseits kann man mit Assistenzsystemen die Arbeitsbedingungen verbessern. Wir haben am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) eine App entwickelt, mit der Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten abstimmen können. Wenn das ein Mittelständler einsetzt, der ein gutes Verhältnis zu seinen Angestellten hat, bringt das für alle einen Mehrwert. Anders ist das, wenn große Internetkonzerne so ihre Mitarbeiter überwachen.

STANDARD: Der Datenschutz ist in einer vernetzten Industrie eine besondere Herausforderung.

Schlund: Ja. Allerdings braucht man auch Mitarbeiterdaten, um einen Prozess zu verbessern. Da läuft man zu Recht gegen Privatsphärerichtlinien, aber auch gegen solche, die es künftig nicht mehr brauchen wird.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Schlund: Etwa darf man Positionsdaten von Mitarbeitern nicht aufzeichnen, man braucht die Daten derzeit nicht. Aber wenn es künftig Assistenzsysteme gibt, die abhängig davon, wo sich ein Mitarbeiter befindet, unterschiedliche Aufgaben verteilen – weil jemand etwa viele Schritte machen möchte und deshalb ans andere Ende der Halle geschickt wird – oder Wissen liefern, um eine Aufgabe besser zu lösen, warum soll man sie nicht aufzeichnen? Ich bin überzeugt, dass solche Systeme kommen. Blöd wäre es, wenn sie in China und den USA, die bekanntlich anders mit Datenschutz umgehen, bereits gut funktionieren, besser und günstiger werden. Dann entstünde Druck, und wir hätten keine Zeit mehr, individualisierte und kontextbezogene Systeme auszuprobieren.

STANDARD: Genau das untersuchen Sie unter anderem. Was sind konkrete Ergebnisse Ihrer Forschung, und was setzen Sie in der TU-Pilotfabrik um?

Schlund: Assistenzsysteme erleichtern die Arbeit. Auf kognitiver Ebene erforschen wir, wie etwa mit Beamern Montageanweisungen direkt dorthin projiziert werden können, wo jemand montiert. Auch Lernen im Job funktioniert damit. Es macht einen Unterschied, ob ein Monteur gestern ein Produkt hergestellt hat, oder ob er auf Urlaub war und sich inzwischen ein Prozess verändert hat. Je nachdem sollte die Informationsbereitstellung eine andere sein. Lernassistenzen in der Produktion sind heute statisch, weder an die Menschen noch den Kontext angepasst. Das ließe sich mit personenbezogenen Daten ändern.

STANDARD: Und bei der Mensch-Maschine-Interaktion?

Schlund: Heute arbeiten Menschen und Roboter selten gleichzeitig an einem Stück. Das ändert sich gerade. Daher ist es sinnvoll, wenn der Roboter weiß, wie groß der Mensch gegenüber ist, ob er Rechts- oder Linkshänder ist. Je nachdem hält er ihm ein Teil anders hin. Wenn sich die Beleuchtung darauf einstellt, ob man älter oder jünger ist, mehr Licht benötigt, oder wenn die Arbeitshöhe an die Tätigkeit angepasst werden kann, ist das ein Mehrwert. Heute wird das noch nicht umgesetzt, dabei sollte etwa bei Feinstarbeiten der Tisch höher sein, bei grobmotorischen Aufgaben niedriger, um mehr Kraft aufbringen zu können.

STANDARD: Sind Mitarbeiter hier noch skeptisch?

Schlund: Ich glaube, Mehrwert schlägt Bedenken. Wenn wir Hilfsmittel entwickeln, die den Arbeitern nützen, ist es wahrscheinlich, dass sie sie verwenden. Man sollte aber vorher ihre Bedürfnisse kennen.

STANDARD: Sehen Sie also keine Hemmnisse bei der Industrie-4.0-Umsetzung?

Schlund: Aktuell bremsen eher die Datensicherheit und das Know-how der Mitarbeiter. In der Diskussion kommt aber immer noch zu kurz, wie Mitarbeiter künftig auch von Maschinen lernen können. Das wird als gegensätzliche Pole dargestellt, dabei haben hybride Teams, wie bereits erläutert, so viel Potenzial. (Selina Thaler, 9.5.2018)