Ungefähr zu jeder dritten Stund' landet in meinem Postkasten eine E-Mail, in der ich freundlich angeregt werde, mich doch mit diesem Freund oder jener Geschäftspartnerin zu "vernetzen". Die Popularität des Lockrufs ist ungebrochen. Wenn es auf dieser Welt einen Sozialstatus gibt, der jedermann und jederfrau erstrebenswert erscheint, dann ist es der des umfassenden Vernetztseins. Das Netz ist das Traumobjekt der Gegenwart schlechthin, populärer als die Salatschleuder und prestigereicher gar als die Flaschenbürste.

Weh dem, der kein Netz sein Eigen nennt! Nichts ist peinlicher als der Netzwerktölpel, der Netzwerknebochant und die Netzwerknull, nichts bewundernswerter als der begnadete Netzwerker. Darunter verstehen wir heute keineswegs Kreuz- und sonstige Spinnen, sondern jene Genies des zwischenmenschlichen Austausches, welche es verstehen, geschickt Kommunikationsfäden zu ziehen und zusammenzuführen.

Seine Supervernetzheit demonstriert man natürlich durch die Zurschaustellung weitläufiger Freundeskreise auf Facebook, jenem Netzwerk, das keinen edleren Zweck kennt als den, die Welt zu vernetzen (und Cambridge Analytica mit höchstpersönlichen Daten zu versorgen). Netz as Netz can!

Allgemeine Netzwerkeuphorie

Kein Wunder, dass in diesem Ambiente einer allgemeinen Netzwerkeuphorie die dunklen Seiten der Netze oft unbeleuchtet bleiben. Denken wir nur an das hinterfotzig geworfene Netz, mit dem der Retiarius in der Gladiatorenarena den stolzen Schwertkämpfer in eine Art hilflosen Dauerwurst verwandelte.

Wer sich in ein Netz einwickeln lässt, darf sich nicht wundern, wenn er das Lebensgefühl eines Rollschinkens vermittelt bekommt. Und erst die beruflichen "Netzwerke" im Internet, auf die man sich so viel eingebildet hat! Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Ansammlung von verhaltensauffälligen Langzeitarbeitslosen, Hobbyspionen, Lustmolchen, polymorph-perversen Spannern, Tagedieben, Schwadroneuren und sonstigen gesellschaftlichen Totalversagern, von denen man im wirklichen Leben rein gar nichts zu erwarten hat, außer vielleicht ein paar Scherereien.

Es geht angesichts dieser Herausforderungen darum, Stéphane Hessels berühmten emanzipatorischen Schlachtruf "Empört euch!" weiterzuentwickeln. "Entnetzt euch!" muss er lauten, wie denn sonst? (Christoph Winder, 4.5.2018)