Gideon Eckhaus im Mai 2018 in seinem Wohnzimmer in Tel Aviv.

Foto: Kaufmann

Am Nachmittag des 14. Mai 1948 liegt Gideon Eckhaus mit vier anderen Männern in einem Schutzgraben zwischen Beer Tuvia und Kfar Warburg, südöstlich von Tel Aviv. Der 24-Jährige ist Mitglied der zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation Hagana, die bis 1948 in Palästina aktiv war. Er ist dort als sogenannter Noter, eine Art Wachmann, im Dienst. Die Unruhen sind damals schon groß. Doch was da gerade im Kunst museum auf dem Rothschild -Boulevard im knapp 50 Kilometer entfernten Tel Aviv passiert, ist größer: Über ein kleines Radio verfolgen die Männer im Graben die Rede von David Ben-Gurion, der an diesem Nachmittag die Gründung des Staates Israel verkündet.

"Wenn ich mich recht erinnere, sind mir Tränen heruntergelaufen", sagt Gideon Eckhaus heute, 70 Jahre später. Der 94-Jährige sitzt in einem blauen Sessel im Wohnzimmer seiner Wohnung im Norden Tel Avivs. "Ich habe so viel erlebt", sagt er. "Da kann man schon mal was vergessen". Doch er erinnert sich noch sehr gut: An die Flucht aus seiner Heimatstadt Wien nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten, an den Aufbau des Staates Israel, an die Kriege, die Restitutionsverhandlungen mit Österreich ab 1994, an denen er maßgeblich beteiligt war, und an seine Arbeit als Vorsitzender des Zentralkomitees der Juden aus Österreich in Israel und der Vereinigung der Pensionisten.

Zufluchtsort

Die Lebensgeschichte von Gideon Eckhaus zeigt, dass Israel schon vor seiner Gründung ein Zufluchtsort für Juden aus der ganzen Welt war, aber einer, der erkämpft, aufgebaut und gesichert werden musste – es war kein Paradies. Den Neueinwanderern, die dem Holocaust entkamen, blieb kaum Zeit zu verschnaufen. Und so kam auch Gideon Eckhaus 1938 hier an. Seine Eltern hatte er verloren, Geld hatte er keines. Den "Anschluss" Österreichs hatte er in Wien noch miterlebt: wie sie Juden auf der Straße zusammenschlugen, Männer aus dem Wohnhaus mitnahmen und ein SS-Mann ihm, dem freiwilligen Mitarbeiter im Palästinaamt, sagte: "So, Jude, geh nach Haus und schau, dass alle Juden nach Palästina kommen." Eckhaus floh mit einer Jugendgruppe nach Italien, von Triest ging es mit dem Schiff nach Palästina. Sein Vater war damals geschäftlich in Italien. "Ich sollte ihn noch treffen, doch das Schiff fuhr früher als geplant los. Ich habe ihn nie wieder gesehen." Der Vater starb in Auschwitz.

In Israel lebte der 15-jährige Gideon Eckhaus bei einer Familie im Dorf Kfar Wittkin, 40 Kilometer nördlich von Tel Aviv. "Wir sind gekommen, um den Staat Israel aufzubauen. So wurde ich auch erzogen in der Jugendbewegung in Wien." Eckhaus arbeitete auf dem Feld, im Stall, später auf dem Bau. Und besuchte danach ein Seminar in Jerusalem, um Jugendgruppen zu leiten. Am Freitag vor Sabbatbeginn arbeitete er dort im Café Vienna, um etwas Geld zu verdienen. Später zog er nach Beer Tuvia, leitete Jugendgruppen in den Dörfern der Umgebung, in Gan Yavne, Kfar Warburg, später auch die Jugendabteilung der Hagana, Gadna. Als Mitglied der Hagana war er als Noter zuständig für die Sicherheit im Dorf.

Erfülltes Leben

Noch vor der Unabhängigkeitserklärung wurde er von einer Handgranate verletzt, konnte aber aufgrund der Straßensperren erst am nächsten Tag ins Krankenhaus nach Tel Aviv. "Ich habe bei einem Arzt übernachtet und war sehr angespannt. Schließlich sollte ich in zwei Wochen heiraten." Mit Krücken erschien er dann 14 Tage später in Jerusalem vor dem Rabbiner. Mit seiner Frau Sara zog er zwei Kinder groß, Shimon und Doron. Die beiden haben heute jeweils selbst drei Söhne. Auf der Kommode im Wohnzimmer von Gideon Eckhaus stehen dutzende Familienfotos. 15 Urenkel habe er, erzählt er. Seine Frau ist vor einem Dreivierteljahr gestorben. Heute kümmert sich die Asiatin Mey um den 94-Jährigen, sie ist Krankenschwester, hilft im Haushalt.

Nach der Hochzeit musste Eckhaus damals als Wachmann zurück in die Dörfer. Die Lage war unruhig, immer wieder gab es Kämpfe. In der Nacht nach der Unabhängigkeitserklärung griffen arabische Nachbarstaaten Israel an, der Krieg brach aus. Euphorie und Angst mischten sich. "In jedem Krieg musst du den Gedanken haben, dass du siegen wirst. Wenn du denkst, du wirst verlieren, dann hast du schon verloren."

Harte Aufbauarbeit

Die Kriege waren das eine. Doch beim Aufbau des Staates stieß man noch auf ganz andere Schwierigkeiten, erinnert sich Gideon Eckhaus: "Es kamen Juden aus aller Welt, Israel musste sie alle aufnehmen, das war nicht so einfach. Und die Juden aus Europa haben die Juden aus dem Nahen Osten nicht gerade pfiffig aufgenommen". Soll heißen: Sie wurden oftmals diskriminiert. Eckhaus arbeitete mit den jugendlichen Einwanderern, war in Tel Aviv und Umgebung zuständig für zahlreiche Jugendhäuser. So seien die Jugendlichen nach der Schule beschäftigt gewesen, hätten die Sprache gelernt, erzählt er. "Man musste alle zusammenbringen. Denn wenn man sie nicht zusammenbringt, gibt es kein Volk. Und ohne Volk gibt es keine Heimat."

Den Yom Haatzmaut, den Unabhängigkeitstag, hat Gideon Eckhaus in diesem Jahr bei der Familie gefeiert. Er ist überzeugt: Dass der Staat Israel gegründet wurde und in diesem Jahr seinen 70 Geburtstag feiert, ist ein Wunder. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 7.5.2018)