Das Happel-Stadion ist wegen der Leichtathletikbahnen bei Fußballfans verpönt.

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Seit einiger Zeit fordert der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB) ein neues Nationalstadion, sein Präsident Leo Windtner erklärt den Denkmalschutz des Ernst-Happel-Stadions zum "großen Problem". Unterstützt wird er dabei vom Sportminister: "Das Happel-Stadion gehört niedergerissen", wurde Heinz-Christian Strache zitiert. Das kann als Geste an jene Fußballfans verstanden werden, denen das Praterstadion wegen der durch die Leichtathletiklaufbahn bedingten weiten Entfernung vom Spielfeld zu wenig Atmosphäre bietet. Lieber wäre vielen ein reines Fußballstadion. Doch warum sollte die Stadt Wien bei der Zerstörung eines wichtigen Bauwerks des Roten Wien mitspielen? Aus Sicht der Architektur- und Sportgeschichte ist zu hoffen, dass die Gemeindepolitiker ihr Geschichtsbewusstsein entdecken.

Das Ernst-Happel-Stadion ist einer der wichtigsten Gedächtnisorte des österreichischen Sports. Am 12. November 1928, dem zehnten Jahrestag der Gründung der Republik, erfolgte die Grundsteinlegung, gewidmet "der Jugend" von der Gemeinde Wien "zur zehnten Jahresfeier der Republik", wie es auf der Inschrift des Grundsteins heißt. Im Juli 1931 wurde das Stadion feierlich eröffnet. Die zweite Arbeiterolympiade eine Woche später war die bis heute größte Manifestation der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung mit etwa 25.000 aktiven Teilnehmern. Am 1. Mai 1933, als Engelbert Dollfuß nach seinem Staatsstreich den Maiaufmarsch der Arbeiterbewegung verbot und die Wiener Innenstadt abriegeln ließ, wurde die Maifeier der Arbeitersportler im Stadion zum Ersatzprogramm für den Maiaufmarsch.

Im Rahmen des Allgemeinen Deutschen Katholikentages im September 1933 sprach Kurt Schuschnigg, damals Justizminister, am 9. September im Stadion über "Die Sendung des deutschen Volkes im christlichen Abendlande". Noch konnten auch sozialdemokratische Organisationen Veranstaltungen austragen. Am 8. Oktober fand im Stadion eine Feier zum vierzigjährigen Bestehen des Arbeitersängerbunds Alsergrund mit 60.000 Teilnehmern statt. Es sollte die letzte Großveranstaltung der Sozialdemokratie in der Ersten Republik sein.

Auch in der Zweiten Republik blieb das Stadion ein wichtiger Ort der (Sport-)Politik: Schon am 6. Dezember 1945 spielte das österreichische Nationalteam gegen Frankreich. Ein Spiel, das von Frankreich ganz bewusst gesetzt wurde, um Österreich vom noch lange aus dem internationalen Sportbetrieb ausgeschlossenen Deutschland abzuheben, und das bei der Konstitution österreichischen Nationalbewusstseins eine wichtige Rolle spielte.

Kompromisslose Moderne

Das Stadion war in seiner ursprünglichen Form ein Bauwerk der kompromisslosen Moderne, ein Solitär im Bauprogramm des Roten Wien – begeistert rezensiert in vielen internationalen Architekturzeitschriften. Das von dem deutschen Architekten Otto Ernst Schweitzer entworfene Praterstadion definierte die Form des Olympiastadions ganz entscheidend mit. Die Konstruktion war in vielen Punkten auch vorbildhaft für das Berliner Olympiastadion – und es offenbart auch die Unterschiede der Repräsentation: Hitler nannte das Wiener Stadion einen "Glaskasten der Moderne", den er nie betreten würde. Der Architekt des Berliner Olympiastadions musste die ersten Entwürfe deshalb überarbeiten: Die dünnen Betonsäulen wurden dort mit Naturstein verhüllt, auf eine Glasfassade wurde verzichtet.

Die hohen Zuschauerzahlen bei Fußballspielen in den Jahren nach dem Weltkrieg ließen bald Pläne für einen Ausbau entstehen. Ende der 1950er-Jahre wurde das Stadion erweitert: Um die bestehende Konstruktion wurde eine nahtlos angeschlossene Tribüne errichtet. Mehr als 90.000 Zuschauer fanden Platz, das aktuelle Stadion hat rund 50.000 Sitzplätze.

Mitte der 1980er-Jahre wurde das Bauwerk grundlegend saniert und mit einem Dach versehen, eine neuartige, patentierte österreichische Konstruktion, über die der Architekturkritiker Otto Kapfinger schrieb, es sei bemerkenswert "dass beim Stadion die Realisierung einer völlig unpathetischen, sorgfältig durchgebildeten 'High-Tech'-Lösung gelang und dass nach langer Zeit wieder ein technischer Bau als kultureller Beitrag, als Architekturbeispiel gewürdigt werden kann". Diese Aus- und Umbauten zeigen die Veränderung in der Nutzung des Raums durch den Sport, die Machtverschiebung weg von der Politik hin zu Sportverbänden und Fernsehen.

Allgemein stellt sich die Frage nach der ökonomischen Sinnhaftigkeit eines Neubaus: Das Happel-Stadion wurde im Vorfeld der EURO 2008 aufwendig saniert und erfüllt nach wie vor seinen Zweck als Fußballstadion. Der ÖFB argumentiert, dass das Stadion in der derzeitigen Form nicht mehr für Uefa-Großereignisse tauglich wäre und wünscht sich wohl auch ein Stadion mit größerer Zuschauerkapazität. Doch ist es in Zeiten der Sparpolitik sinnvoll, für drei bis vier Fußballspiele pro Jahr rund 400 Millionen Euro auszugeben, die ein Neubau dieser Größenordnung wohl kosten würde? Der ÖFB könne dazu nur "einen symbolischen Beitrag leisten", so ÖFB-Geschäftsführer Neuhold. Ein Finalspiel der Champions League wäre damit sehr teuer erkauft, und beim sportlich wankelmütigen Nationalteam scheint fraglich, ob man eine Heimstätte mit 50.000 Plätzen braucht. Außerdem haben die beiden Wiener Klubs Rapid und Austria gerade ihre eigenen Stadien modernisiert – und werden in den nächsten Jahren wenig Bedarf an einer Ausweichstätte haben.

Fanal Kärnten

Dass sich der ÖFB trotzdem ein neues Stadion wünscht, ist grundsätzlich legitim, in der konkreten Vorgangsweise auch etwas fragwürdig. Dass sich aber Minister Strache mit Steuergeldern ein teures Denkmal setzen will, ist eine bittere Pointe. Zeigt doch gerade das von seinem Vorbild Jörg Haider initiierte Klagenfurter Stadion, was dem neuen "Nationalstadion" blühen würde: hohe Kosten und geringe Nutzung. (Bernhard Hachleitner, Georg Spitaler, 7.5.2018)