Heute ist die Adresse Rainerstraße 4 im Salzburger Andräviertel an der Reihe. Hier sind gleich acht Steine für jüdische Opfer verlegt. Fünf tragen den Namen Bonyhadi. Die Nationalsozialisten haben einen großen Teil dieser Familie ermordet.
Der ältere Herr setzt sich mit seinem Hocker hinter die Reihe der kleinen in den Boden eingelassenen Mahnmale. Neben ihm ein Wagerl mit allerlei Putzzubehör. Gewissenhaft werden die Steine mit einem Bartwisch abgekehrt, dann mit einer Salzlösung besprüht und mit einer Akkupoliermaschine gesäubert.
Später versiegelt Gerhard Geier die mit einer rund zehn mal zehn Zentimeter großen individuellen Messingplatte versehenen Stolpersteine noch mit einer Politur und bringt sie mit einem Tuch zum Glänzen. Eine gute halbe Stunde dauert das alles.
Schammerl, Bartwisch, Wagerl
Seit einigen Wochen ist Gerhard Geier so in der Stadt Salzburg unterwegs und plötzlich gehört der stets freundliche, ältere Herr mit seinem Schammerl, Bartwisch und Putzmittelwagerl fast zum Stadtbild. Noch im Gedenkjahr 2018 will der 79-Jährige alle 388 in der Landeshauptstadt verlegten kleinen Mahnmale für Opfer des Nazi-Terrors wieder zum Glänzen bringen.
Rund 200 habe er schon gesäubert, erzählt Geier. Er arbeite sich einfach nach dem Lageplan des Personenkomitees Stolpersteine "von Stadtteil zu Stadtteil" durch. Die Leute vom Komitee hat er natürlich vor Beginn informiert.
Steine lesbar machen
Seine Motivation? Geier lächelt: Er habe immer wieder feststellen müssen, "dass ich mich bücken muss, um die Inschrift mit den Daten der Ermordeten auf den Steinen zu lesen." So sei ihm in der Pogromnacht am 8. November vergangenen Jahres die Idee gekommen, die Stolpersteine zu reinigen. Manche der Steine lägen schon ein Jahrzehnt auf den Straßen und Gehsteigen der Landeshauptstadt und seien entsprechend mit Patina überzogen. Ab und zu kommt es freilich auch vor, dass ein Stein durch den Winterdienst beschädigt wird.
Dann kann auch Herr Geier nichts mehr machen. Solche Stolpersteine werden dann von den Initiatoren durch neue ersetzt. Auf acht unabsichtliche Beschädigungen kommt man in Salzburg pro Winter.
Straßenwaschende Juden
Manchmal habe er da so am Boden hockend schon auch "das Bild der Juden, die die Straßen waschen mussten, vor Augen", sagt Geier. Mehr aber noch berührt ihn, dass es, wenn er mit seinem Mikrotuch die Steine poliere, fast so sei, "als ob ich die Opfer der Nazis damit streichle". Er baue so eine Beziehung zu jedem einzelnen Opfer auf.
Die Reaktionen der Passanten auf seine Aktion seien fast durchwegs positiv, erzählt Geier, während er den nächsten Stein mit Lösungsmittel besprüht. "Ich werde oft spontan auf einen Kaffee eingeladen." Interessierten Touristen erläutert der Vater zweier Töchter das Konzept der kleinen Mahnmale: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", lautet das aus dem Talmud entlehnte Motto der Stolpersteine.
Gedenken als Warnung
Der Kontakt mit den Leuten, das Erklären der Bedeutung der Steine, all das fällt dem pensionierten Eisenbahner Geier leicht. Der gebürtige Pinzgauer war zuletzt Bahnhofsvorstand in Wels und freigestellter Personalvertreter bei den ÖBB. Kurz war er auch sozialdemokratischer Gemeindevertreter im Pinzgauer Zell am See.
Gerhard Geier hat selbst keine Opfer der Nazi-Mordmaschinerie in seiner Verwandtschaft. Er verbindet mit seiner individuellen Gedenkarbeit auch eine politische Botschaft. Plötzlich ist dann das Lächeln in seinem Gesicht weg, wenn er sagt: "Was heute wieder möglich ist, hat man sich vor einigen Jahren nicht vorstellen können. Man merkt den Rechtsruck in ganz Europa, es könnte wieder gefährlich werden."
Inzwischen glänzt auch der Stein von Edgar Bonyhadi wieder. Er wurde von den Nazis nach Maly Trostinec bei Minsk deportiert und dort am 26. Mai 1942 ermordet. (Thomas Neuhold 8.5.2018)