Autor Michael Köhlmeier (re.), daneben Barbara Glück bei der Gedenkveranstaltung im Parlament: Die Mauthausen-Chefin drang mit ihrem Jugendprojekt kaum durch. Das Geschrei der FPÖ und die Kritik des Festredners übertönte alles.

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Eigentlich war das vergangene Wochenende dem Gedenken gewidmet. Bei dem Wort denkt man an Besinnlichkeit und stilles Erinnern an ein Ereignis, das betroffen macht – umso mehr, wenn der Anlass die Befreiung des KZ-Mauthausen und seiner über 50 Nebenlager am 8. Mai vor 73 Jahren ist.

Statt dessen war es konfliktreich und laut, sehr laut. Den Anlass lieferte die FPÖ, die sich darüber aufgeregt hat, dass sie nicht in Mauthausen eingeladen ist – obwohl sie doch so viel tue, um sich von der NS-Vergangenheit zu distanzieren. Nahezu im gleichen Atemzug übernahmen aber alle führenden FPÖ-Politiker das Narrativ des ungarischen Premiers Viktor Orbán in Bezug auf den US-Milliardär George Soros, das nur so strotzt vor antisemitischen Anspielungen und Bezügen. Kein Wunder also, dass der Schriftsteller Michael Köhlmeier bei seiner Festrede im Parlament nicht darüber hinwegsehen konnte, eins ergab das andere – und am Ende redeten alle nur noch über diese Rede und über die FPÖ.

Geändertes Gedenken

Das eigentlich Wichtige an diesem Gedenktag ging dabei fast völlig unter. Die – nach langen Jahren Diskussion und unheimlich viel politischem Gezerre – endlich ausgelagerte Gedenkstätte Mauthausen hat sich inhaltlich neu ausgerichtet. Das Gedenken müsse in Zukunft neu ausgerichtet werden, hatte Direktorin Barbara Glück schon im Jänner im STANDARD gesagt. Weil: Die letzten Zeitzeugen werden wohl nicht mehr lange leben, die Nazi-Verbrechen versinken immer mehr in der Zeitgeschichte – und viele österreichische Jugendliche, zumal jene mit Migrationshintergrund, fragten sich: "Was hat das mit mir zu tun?"

Die Gedenkstätte startete auch sogleich ein Jugendprojekt: Fünf junge Menschen setzten sich auf ihre Weise mit den Biografien von Opfern auseinander – und dokumentierten ihre Gedanken und Eindrücke. Einer übertrug einen Dialog zweier junger KZ-Insassen in heutige Jugendsprache; ein anderer setzte sich mit der Vernichtung transsexueller Menschen auseinander; eine Dritte versuchte nachzuvollziehen, wie es einer Frau gegangen war, die den Hinrichtungsbescheid ihres Ehemannes in Händen hielt – zwei weitere junge Frauen beschäftigten sich mit der Frage, was es heißt, wenn man als junger Mensch seiner Zukunft beraubt wird. Das Projekt sollte das Herzstück der Gedenkveranstaltung im Parlament sein – und wurde durch die Köhlmeier-versus-FPÖ-Debatte – zur Nebensache.

Viel wichtigeres Thema

Das ist nicht egal, sondern ziemlich schlimm. Denn es untergräbt den Versuch der Gedenkstätte, "deutsche Zustände" in Österreich zu verhindern. Im Nachbarland registrieren Juden derzeit besorgt, wie der Antisemitismus gerade unter jungen Menschen steigt, viele davon mit Migrationshintergrund oder kürzlich Geflüchtete. Die Kippa-Affäre in Berlin war ein trauriger Höhepunkt Wenn deutsche Juden wieder sagen, sie fühlten sich "nicht mehr sicher", wenn sie Kippa tragen, dann hat auch die Gedenkpolitik ihren Anteil am Versagen. Es nützt nichts, junge Menschen Konzentrationslager besuchen zu lassen und im Schulunterricht darüber zu reden – viele verwechseln das mit ödem Geschichtsunterricht über Dinge, die lange zurückliegen, und die nichts mit ihnen zu tun haben.

Nachkriegseuropa ist unter anderem auf dem Konsens aufgebaut, dass ein so monströses Verbrechen wie die Nazi-Herrschaft nie wieder passieren darf. Dieses "nie wieder" stellt man aber nur dann sicher, wenn man jungen Menschen von damals in einer Sprache erzählt, die sie verstehen. Und wenn man sie damit zwingt, eigene Vorurteile und – durchaus auch aus so manchem Migranten-Elternhaus entstammende Ressentiments gegen Juden – zu hinterfragen.

Alles übertönt

Hat man das einmal geschafft, ist der Schritt zum Akzeptieren jegicher Andersartigkeit (sei sie politisch, religiös, sexueller Ausrichtung) nicht mehr gar so weit. Das muss Gedenkpolitik leisten, das versucht man nun in der Gedenkstätte Mauthausen. Es ist schade, dass das Geschrei der FPÖ und dessen Folgen alles übertönt haben – auch dieses wichtige Zukunftsthema. (Petra Stuiber, 9.5.2018)