Wer die Zukunft verstehen will, muss die Vergangenheit kennen. Diese Aufgabe übernimmt in Isle of Dogs ein Prolog, der im Stil japanischer Lithografien die leidvolle Vorgeschichte des Miteinanders von Hund, Katz und Mensch erzählt. Das "Schnauzenfieber", das dann Jahre später in Megasaki City ausbricht und Hunde arg in Misskredit bringt, steht in der Tradition eines Ressentiments. Nun hat man den Beleg dafür, dass die Köter dem Menschen schaden. Man macht gegen die Spezies mobil. In Käfigen werden die Vierbeiner auf die Müllinsel Trash Island verbannt und dort ihrem Schicksal überlassen.

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Wenn Hunde auf den Hund kommen, führt das bei Regisseur Wes Anderson zu einem großen, bewegenden Drama im Stop-Motion-Verfahren.

Foto: Foto: Fox Searchlight via AP

Doch sobald wir in Wes Andersons jüngstem Film dem Hund Spots bei seiner Überfahrt in die verwässerten Augen blicken, ist es um uns geschehen. Hundert Minuten lang sind uns Hunde näher als Menschen. Sie sind die wahren "Underdogs". Ihren hintergründigen Charme verdankt diese Totalitarismusparabel Ironie und Zärtlichkeit. "Leckt doch nicht ständig eure Wunden", mahnt Streuner Chief seine vom Wohlstand verweichlichten Freunde. Im unbedingt vorzuziehenden Original wird er von Bryan Cranston (Breaking Bad) gesprochen. "Ich beiße", sagt er immer wieder.

Setzkastenprinzip

Isle of Dogs ist wie schon Andersons erster Animationsfilm The Fantastic Mr. Fox hauptsächlich im Stop-Motion-Verfahren entstanden. Wie noch jeder Film des US-Amerikaners besticht er als stilistische Aneignung einer Kultur im Setzkastenprinzip, als schillerndes Bric-à-brac. Jedes Bilddetail wird mit liebevoller Kleinstarbeit gestaltet: abgebissenes Hundeohr, Sumo-Ringer, futuristische Labors, Bars, Papierwände. Wer die Materie erkennt, hat deswegen nicht weniger Freude.

"Isle of Dogs" – Deutscher Trailer.
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Japanisch wird dennoch nur gedolmetscht oder untertitelt, während eine ganze Liga an Hollywoodstars (Bill Murray, Edward Norton, Jeff Goldblum, Scarlett Johansson etc.) den Hunden ihre Stimmen leiht und sie mit eigenwilliger Persönlichkeit versieht. Seine populärkulturell gesättigte Perspektive auf Japan hat Anderson allerdings auch Kritik eingebracht: Er zeige die Japaner zu stereotyp. Dagegen kann man halten, dass mit Ausnahme des zwölfjährigen Atari, der wie de Saint-Exupérys Kleiner Prinz auf der Hundeinsel bruchlandet und Spots wiederfinden will, die Menschenpuppen des Films generell schlecht abschneiden. Dass gerade eine sommersprossige US-Austauschstudentin (Greta Gerwig) die Rebellion anführt? Manchmal braucht es eben den Blick von außen.

Gewalt hinter der Schönheit

Wenn Anderson in einer famosen Szene das Anrichten einer Portion Sushi zelebriert und dabei Meerestiere lebendig zerschnitten werden, dann mag man dies auch als Lehrfilm über die Gewalt hinter jeder Schönheit sehen. Isle of Dogs findet auf vergleichbare Weise im Abgründigen Poesie: im Müll, in desolatem Tsunamilandschaften, unter verwaisten Atomkraftwerken und hinter verlaustem Fell.

"Isle of Dogs" – Englischer Originaltrailer.
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Erzählerisch folgt der Film der heroischen Suche nach Spots. Für die Hunde wird sie zur Odyssee an die Enden von Trash Island, bei der sie mehr über ihre Herkunft erfahren. Der fantastische Score von Alexandre Desplat gibt der Selbstfindung überwiegend mit Holzperkussionsinstrumenten den Rhythmus vor. Das Verhältnis zu Herrchen und Frauchen lernen die Tiere dabei neu zu denken. Sie wurden von ihren Besitzern im Stich gelassen, ganz abgeschworen haben sie ihnen nicht.

Visuell hat Anderson auf die strengen Montagesymmetrien von Akira Kurosawa zurückgegriffen, auch die popgesättigten Bilderwelten von Seijun Suzuki waren ihm Vorbild. Übertragen auf die Tierwelt bedeutet dies, dass schon ein erbitterter Kampf um Abfälle zu einem filmischen Kleinod werden kann. Isle of Dogs begeistert mit szenischen Miniaturen voller spielerischer Eleganz, mit einer Mischung aus Melancholie und Humor.

Die Komik liegt im Sprachwitz, in der abgebrühten Verwegenheit der Hunderudel und ihrer Gefährten, etwa eines Mopses, der wahrsagen kann (in Wahrheit aber nur fernzusehen vermag). Zugleich versteht es Anderson, mit einem einzigen Bild Emotionen zu wecken. Die Großaufnahme eines Hundes, der in die Ferne und in eine ungewisse Zukunft blickt – in solchen Augenblicken hat der Film sogar epische Größe. (Dominik Kamalzadeh, 9.5.2018)