Solange kein Gesetz Unklarheiten löst, hoffen Kunden und Versicherer – jeder halt auf etwas anderes.

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Ende März ist der zweite Versuch gescheitert, die derzeit sechs geltenden Rücktrittsrechte bei Versicherungen zu vereinheitlichen. Seitdem herrscht viel Unsicherheit. Die Politik hatte eine Lösung – also ein neues Gesetz – bis zum Sommer angekündigt. Darauf wollen die Versicherungen offenbar warten. Sie halten sich bei Vergleichen derzeit sehr zurück, ist zu hören.

Zur Erinnerung: Wurden Versicherungsnehmer beim Abschluss ihres Vertrags über ihr Rücktrittsrecht nicht oder falsch belehrt, steht ihnen ein lebenslanges Rücktrittsrecht offen. Diese Möglichkeit haben auch Anlegeranwälte und Prozessfinanzierer entdeckt und hunderte Klagen angestrebt. Denn: Auch von einem bereits gekündigten oder erfüllten Vertrag können Kunden in diesem Fall rückwirkend zurücktreten. Das ist in vielen Fällen lukrativ, weil laut geltender Rechtslage die einbezahlten Prämien dann mit einer Verzinsung von vier Prozent dem Kunden rückbezahlt werden. Im anhaltenden Niedrigzinsumfeld mag das ein Reiz sein.

Vor Gericht wendet sich das Blatt

Rund 600 offene Fälle liegen derzeit noch bei Anlegeranwälten oder bereits bei Gericht. Auch dort sei der Ton rauer geworden. Haben Richter in der Vergangenheit gern im Sinne der Konsumenten geurteilt – und Versicherungen zu Zahlungen verpflichtet, so wende sich das Blatt. Es häuften sich Urteile, die gegen Kunden gehen, wurde dem STANDARD zugetragen.

So würden Richter immer öfter zu der Erkenntnis kommen, dass wenn jemand seinen Vertrag bereits gekündigt hat – und dieser damit nicht mehr besteht – auch kein Rücktrittsrecht mehr bestehe. Denn wovon wolle der Kunde denn dann noch zurücktreten? Der bisher geltenden Meinung, dass Kunden auch von gekündigten Verträgen zurücktreten können, folgten die Gerichte jetzt seltener. Für Kläger ist es freilich keine Selbstverständlichkeit, vor Gericht recht zu bekommen.

Eine zweite Tendenz ist, so berichten Involvierte, dass Richter sich neuerdings auf eine 30-Tage-Frist berufen. Wer Kenntnis von einem Schaden hat, hat ab diesem Zeitpunkt 30 Tage Zeit zu reagieren. Ein diesbezügliches Urteil sei unlängst in Linz gefallen. Wer innerhalb dieser Zeit nicht aktiv werde, könne danach keine Ansprüche mehr anmelden. Auch zum Thema "Schriftlichkeit" gibt es neue Erkenntnisse. Wurde im Vertrag festgehalten, dass selbiger ausschließlich schriftlich zu kündigen ist, so sei das ein Fehler, sagen Anlegeranwälte. Denn ein Anruf bei der Versicherung sei hierfür ausreichend. Bestehen Versicherungen auf die Schriftlichkeit, war das bisher oft auch ein Grund dafür, dass vom Vertrag im Nachhinein zurückgetreten werden konnte. Auch hier ist eine Klärung dringend nötig. Ein Urteil in dieser Causa soll bereits auf dem Weg zum Obersten Gerichtshof sein.

Gesetz soll Lücken schließen

Aufhorchen lässt zudem ein Urteil des Deutschen Bundesgerichtshof (BGH). Darin kommt der Richter Ende März zu dem Schluss, dass es bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung "europarechtlich unbedenklich" ist, "einem Verbraucher jene Risiken zuzuweisen, die unmittelbar mit der gewählten Kapitalanlage verbunden seien". Sprich: Ist ein Verlust entstanden, kann die Versicherung diesen bei einem Rücktritt abziehen. Ein Gegenrechnen etwaiger Verluste bei einem Rücktritt solch einer Versicherung war zuletzt auch beim Gesetzesentwurf in Österreich angedacht.

Versicherer drängen auf eine Lösung durch ein Gesetz. "Die vielen unterschiedlichen Gerichtsurteile helfen nicht weiter", sagt ein involvierter Experte. Diese klärten immer nur Einzelfälle. Ein Gesetz soll Klarheit schaffen. Ob dieses allerdings noch vor dem Sommer kommt, ist aber offen. (Bettina Pfluger, 9.5.2018)