Angela Merkel und Emmanuel Macron haben jetzt Zeit, sich um die Zukunft der Europäischen Union zu kümmern.

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Um das gemeinsame Europa einen größeren Schritt weiterzubringen, nimmt sich Emmanuel Macron viel Zeit. Donnerstag wird der französische Staatspräsident in Aachen den Karlspreis erhalten, die höchste Auszeichnung, die es für Persönlichkeiten gibt, die sich um Frieden und Aussöhnung durch enge Kooperation und EU-Integration der Nationalstaaten bemühen.

Benannt ist sie nach Karl dem Großen, dem Frankenherrscher und ersten "Einiger Europas" im Mittelalter. Helmut Kohl, Valéry Giscard d'Estaing, Bill Clinton, Jacques Delors, Václav Havel, François Mitterrand, Jean-Claude Juncker – viele große Staats- und Regierungschefs haben die Medaille bekommen. Seit 1950 wird sie von der Stadt im Dreiländereck von Deutschland, Belgien und den Niederlanden, wo seit Karl dem Großen im Jahr 800 die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurden, verliehen. Die Feier findet, wie jedes Jahr, zu Christi Himmelfahrt statt – die Stadt ein einziges riesiges Europafest, Symbolik an allen Ecken und Enden. Kein Wunder, dass Macron sich für seinen Ehrentag ein besonderes Programm wünschte.

Bereits am Mittwoch wollte er anreisen, zuerst mit Studierenden an der Technischen Hochschule diskutieren, mit seiner Frau Brigitte den Dom besuchen (was wegen der Iran-Krise mit den USA im letzten Moment verschoben wurde). Sein Herzensanliegen, das die deutschen Gastgeber nicht ungern organisierten: Die Würdigungsrede für den französischen Präsidenten wird die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel halten, 2008 selbst Preisträgerin.

Dieses "weltliche Hochamt" dürfte den eigentlichen Auftakt zu einer deutsch-französischen Initiative mit dem Ziel einer weiteren Vertiefung der EU setzen. Die niederländische Stadt Maastricht, wo vor fast 30 Jahren jener entscheidende EU-Vertrag abgeschlossen wurde, der zur gemeinsamen Währung Euro und zu offenen Grenzen führte, der die "politische Union" als Ziel vorsieht, liegt nur ein paar Kilometer entfernt.

Die Vertiefung vor allem der Eurozone als Herzstück der künftigen Union hatte der französische Präsident seit Monaten in mehreren großen Reden, zuletzt im EU-Parlament in Straßburg, mit Leidenschaft gefordert. Weil es aber nach den Wahlen in Deutschland im vergangenen September mehr als ein halbes Jahr lang nicht gelungen war, eine neue Regierung in Berlin zu bilden, stand eine Antwort der Kanzlerin, wie sie sich den Weg des deutsch-französischen Ausgleichs und in der Folge der EU-27 nach dem Austritt Großbritanniens vorstellt, aus.

Diese Ungewissheit geht nun zu Ende. Beim gemeinsamen Auftritt mit Macron wird Merkel zumindest die großen Linien der Reformen, die Paris und Berlin Ende Mai gemeinsam den Partnern präsentieren wollen, umreißen.

Deutsch-französischer Motor

Macron will Klarheit und Fortschritt nicht nur beim Euro, sondern auch bei Migration, Sicherheit und Verteidigungspolitik. Dieser Anstoß des "deutsch-französischen Motors" dürfte auch weitgehend das Programm der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs bestimmen, die am 1. Juli beginnt und sechs Monate dauert. Bundeskanzler Sebastian Kurz will Mittwoch Details zu Schwerpunkten nennen, die seine Regierung einbringen will. Viel inhaltlichen Spielraum auf EU-Ebene gibt es für die Regierung in Wien dabei nicht. Zwar kann jedes EU-Vorsitzland versuchen, eigene Initiativen zu setzen und sich zu profilieren (so wie Bulgarien derzeit mit dem Thema EU-Erweiterung auf dem Westbalkan). Der Großteil des Programms ergibt sich aber aus dem laufenden Arbeitsprozess der Institutionen und Staaten.

So wird die gemeinsame EU-Außenpolitik von der Außenbeauftragten Federica Mogherini erledigt. Der Ratspräsident Donald Tusk organisiert die Agenda für EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Das Vorsitzland Österreich muss vor allem dafür sorgen, dass es als "ehrlicher Makler" Kompromisse zwischen Staaten ermöglicht. Die am Ende entscheidenden Kräfte treffen einander aber nun in Aachen. Wenn Macron und Merkel keinen Weg finden, wird in der EU bis zu den Wahlen 2019 wenig weitergehen. (Thomas Mayer, 9.5.2018)