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Das Atomkraftwerk im iranischen Bushehr
Foto: REUTERS/Mehr/Majid Asgaripour

FÜR: Alle 2015 am Zustandekommen des JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) vulgo Atomdeal Beteiligten außer den USA wollen diesen erhalten: die EU, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und China. Seit 2003 hatten zuerst die Europäer, später auch die USA versucht, dem Iran sein gesamtes Urananreicherungsprogramm sowie den Bau eines Reaktors in Arak auszureden, abzukaufen, zu verbieten. Man schlug mit dem Kopf gegen eine Wand. Aber die Lage war keineswegs ein Stillstand: Hatte der Iran zu Beginn der Auseinandersetzung nur Vorarbeiten geleistet, so begann er 2006 mit der Anreicherung von Uran und vollzog im Februar 2010 den Sprung zur Anreicherung auf 19,75 Prozent. 20 Prozent ist die Schwelle zu hochangereichertem (wenngleich nicht waffenfähigem) Uran.

Dazu kamen die Hinweise, dass der Iran zumindest in der Vergangenheit auch an militärischen Aspekten eines Atomprogramms geforscht hatte. 2009 wurde die Konstruktion einer in einen Berg hineingebauten Urananreicherungsanlage in Fordow bekannt, 2009 scheiterten Verhandlungen, die erreichen wollten, dass der Iran seine Bestände von angereichertem Uran aufgibt und im Gegenzug Nuklearbrennstoff für seinen Forschungsreaktor in Teheran (TRR) erhält. Der Iran ließ sie scheitern – und produzierte den Brennstoff selbst.

Kurz: Bei den Befürwortern des späteren JCPOA setzte sich die Erkenntnis durch, dass nunmehr das wichtigste Anliegen war, die "breakout time" des Iran zu reduzieren, die Zeit, die er brauchen würde, um genügend waffenfähiges Material für eine Bombe herzustellen. Die wurde 2013 – als die Verhandlungen begannen – mit längstens drei Monaten berechnet. Heute beträgt sie ein Jahr. Aber die Kontrollen, die sich vom Uranabbau bis zur Anreicherung erstrecken, sind so streng, dass Aktivitäten in diese Richtung nicht unbemerkt blieben.

Das Fernhalten von der Atomwaffenschwelle

Und diese Kontrollen laufen nicht aus wie andere Beschränkungen, denen der Iran unter dem Atomdeal zustimmte. Für das Fernhalten von der "breakout"-Möglichkeit darf der Iran nicht mehr als 300 Kilogramm niedrig (auf 3,5 Prozent) angereichertes Uran im Land behalten, 15 Jahre lang. Zuvor hatte er etwa 8000 Kilogramm. Von 19.000 Urananreicherungszentrifugen wurden 13.000 stillgelegt, diese Restriktionen beginnen in acht Jahren zu fallen (zwei Jahre läuft der JCPOA ja schon). Die Anreicherung auf 19,75 Prozent ist eingestellt. In Fordow darf nur geforscht, nicht produziert werden. Der Schwerwasserreaktor in Arak, der für die Produktion von Plutonium infrage gekommen wäre – auch das ein möglicher Weg zur Atombombe –, wurde völlig rekonfiguriert.

Das heißt: Es gibt für den Moment keine Gefahr eines iranischen Atomwaffenprogramms. Das würdigen auch wichtige Vertreter des israelischen Sicherheitsestablishments, anders als die israelische Regierung. Wenn durch das Aussteigen der USA aus dem Deal die Lage eskaliert, könnte der Iran im schlimmsten Fall aus dem Atomwaffensperrvertrag aussteigen und die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) aus dem Land werfen, womit die inter nationale Gemeinschaft die "nuklearen Wachhunde" im Iran verlieren würde. Was dann? Abwarten? Krieg?

Abgesehen vom Schaden für die Paktfähigkeit der USA könnte es auch zu einer neuen Krise der transatlantischen Beziehungen kommen, falls die Europäer an ihrer Linie festhalten. Und es ist bekannt, wo jene sitzen, die sich darüber freuen: zum Beispiel in Moskau und in Teheran.

WIDER: Allein der Beginn der Atomverhandlungen mit dem Iran war für die Iran-Falken ein schwerer Tabubruch. Ab 2003 hatte die internationale Gemeinschaft versucht, das Land dazu zu bringen, sein Urananreicherungsprogramm einzustellen, 2006 wurde der Uno-Sicherheitsrat eingeschaltet und verhängte nach und nach Sanktionen gegen Teheran. Mit der Aufnahme der Verhandlungen im September 2013 wurde diese Forderung nach einem sofortigen Halt der Urananreicherung de facto über den Haufen geworfen: Fortan ging es um einen Kompromiss. Dass der Iran das Recht und den Bedarf an der Technologie hatte, die ihm – so die iranische Begründung – die Produktion nuklearen Brennstoffs erlauben würde, war damit implizit anerkannt.

Schon der im Jänner 2014 abgeschlossene Vorausdeal zum finalen Atomdeal wurde mit Sanktionserleicherungen honoriert. Denn darum ging es: Der Iran akzeptiert Beschränkungen und scharfe Kontrollen über sein gesamtes Atomprogramm, dafür werden die im Zusammenhang mit dem Atomstreit verhängten Wirtschaftssanktionen aufgehoben.

Geld für die iranische Einflusspolitik

Und das ist aktuell wohl der Hauptpunkt, nicht das iranische Atomprogramm. Denn eine unmittelbare Folge des JCPOA ist, dass der Iran durch seine Rückkehr ins internationale Wirtschafts- und Finanzsystem an das Geld kommt, das das Regime zu zweierlei braucht: erstens um seine Position im Inland zu stärken, weil es den Iranern und Iranerinnen besser geht (das hat ohnehin nur sehr begrenzt geklappt). Und zweitens, um seine aggressive Regionalpolitik zu finanzieren: die militärische Präsenz in Syrien, die schiitischen Milizen in Syrien und im Irak, die Unterstützung der libanesischen Hisbollah und der Huthi-Rebellen im Jemen, versuchte Einflussnahme auf Schiiten weltweit, bis nach Nigeria. Der letzte Fall ist Marokko, das behauptet, der Iran würde mit der Polisario in der Westsahara zusammenarbeiten. Für Israel ist aber natürlich die Nähe von iranischem Militär zur israelischen Grenze in Syrien das größte Problem.

Aber die Gegner finden auch im Atomdeal selbst Gründe, diesen zu verwerfen: Da geht es vor allem um die "sunset clauses", die Sonnenuntergangsklauseln. Damit ist gemeint, dass die Beschränkungen des Urananreicherungsprogramms nach und nach auslaufen. Das heißt, wenn der Iran die Zeit absitzt, kann er nach gut zehn Jahren beginnen, ein indus trielles Urananreicherungsprogramm aufzubauen. Mit diesem produziert er jede Menge spaltbares Material, das – im Fall, dass der Iran doch eine Atombombe bauen will – auf waffenfähiges Uran weiter angereichert werden kann.

Ein weiterer Punkt ist das iranische Raketenprogramm. Es ist in der Uno-Sicherheitsratsresolution 2231 vom Juli 2015, durch die der JCPOA – der kein völkerrechtlicher Vertrag ist – Verbindlichkeit erlangte, nur unter "ferner liefen" angesprochen. Unter den Raketen, die der Iran entwickelt, sind auch solche, die als Trägerraketen für einen Atomsprengkopf infrage kommen. Für den Iran ist das Raketenprogramm unverhandelbar, das wollen seine Gegner nicht hinnehmen. Wenn es einen "neuen Deal" gibt, muss er auch die Raketen umfassen sowie die iranische Einflusspolitik in der Region thematisieren. Die Iran-Falken meinen, dass man das Land durch Sanktionen so weichklopfen kann, dass es das akzeptiert. Und sie spekulieren auch damit, dass Sanktionen die Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung so steigern, dass es früher oder später zu einem Sturz des Regimes kommt. (Gudrun Harrer, 8.5.2018)