Renate Anderl ist seit Ende April Chefin der Arbeiterkammer. Zuvor war sie unter anderem Frauenchefin des Gewerkschaftsbundes.

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Wien – Vor sieben Jahren sei ein Tiger losgelassen worden – seither werde alles getan, um ihm "die Zähne zu ziehen", formuliert es Elias Felten, Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Linz. Er spricht von der bis heute deutlich offenen Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern in Österreich und dem 2011 eingeführten Einkommensbericht, der zu ihrer Schließung beitragen soll. "Die Erfolgsbilanz ist ernüchternd", sagt er.

Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern müssen alle zwei Jahre die Gehälter der Mitarbeiter anonym dokumentieren und innerbetrieblich veröffentlichen. Zumindest in der Theorie – Sanktionen drohten nicht, wenn sich ein Betrieb nicht daran halte, erklärt Renate Anderl, die neue Präsidentin der Arbeiterkammer. Sie will deshalb einen Schritt weiter gehen: "Wir fordern absolute innerbetriebliche Lohntransparenz."

Unerklärbare 187 Euro weniger Gehalt

Zahlen der Statistik Austria zeigen, dass das monatliche Medianeinkommen von Frauen in Österreich um 891 Euro unter dem der Männer liegt. Werden Faktoren wie Teilzeitarbeit, Berufsunterbrechungen für Kinderbetreuung und die schlechtere Bezahlung in typischen Frauenberufen herausgerechnet, bleibe weiterhin ein "unerklärbarer Rest" von 187 Euro Unterschied, rechnet die Arbeiterkammer vor. Das sei ein Hinweis auf die systematisch niedrigere Bezahlung von Frauen, ist Anderl überzeugt.

Der Einkommensbericht wurde eingeführt, um dem entgegenzuwirken und Frauen zu ermutigen, gleiche Bezahlung einzufordern. Doch viele Arbeitnehmerinnen wüssten gar nicht, dass es diesen Bericht gibt beziehungsweise geben müsste, moniert Anderl. Darüber hinaus würden Unternehmen immer wieder den Datenschutz und Gehälter als "Geschäftsgeheimnis" ins Treffen führen.

Mitarbeiter dürfen Gehaltsdaten sammeln

In einem Gutachten für die Arbeiterkammer hat der Arbeitsrechtler Felten nun festgestellt, dass sich nach aktueller Rechtslage Mitarbeiter sehr wohl über ihre Gehälter austauschen und die Daten sammeln dürfen, um gerechte Entlohnung im Fall auch gerichtlich einzufordern. Darüber hinaus sei es kein Problem, wenn sich Arbeitnehmer mit den Gehaltszahlen an Arbeiterkammer oder Gewerkschaft wenden, da die Einkommensberichte für Laien alleine schwer lesbar seien. Hierbei würden keine Betriebsgeheimnisse ausgeplaudert, hält Felten fest.

Anderl fordert aber ohnehin mehr: Geht es nach der AK-Chefin, sollten alle Unternehmen – auch jene mit weniger als 150 Mitarbeitern – die Gehälter intern offenlegen, und das nicht anonymisiert. "Die Heimlichtuerei bei den Löhnen und Gehältern bestärkt die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern und schwächt die Position von Arbeitnehmerinnen bei Gehaltsverhandlungen", sagt die Sozialdemokratin. "Wer daran etwas ändern will, muss für Transparenz sorgen." Mit Vertretern der Wirtschaftskammer habe sie den Vorstoß noch nicht besprochen.

Wirtschaftskammer: Transparenz bereitet Unbehagen

Aktuell rät die Arbeiterkammer-Präsidentin Frauen in Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern, sich an den Betriebsrat zu wenden, um den Einkommensbericht einzusehen, und allen anderen, sich mit Kollegen auszutauschen. "Wenn Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer, ist das ein Rechtsbruch", sagt Anderl.

Auf Anfrage bei der Wirtschaftskammer wird dort erklärt, dass man "keinen Bedarf" sehe, Gehälter in Betrieben offenzulegen oder den Einkommensbericht auszuweiten. "Es bereitet Menschen nachweislich Unbehagen, wenn Kollegen wissen, wie viel sie verdienen", sagt Rolf Gleißner von der Sozialpolitischen Abteilung der Arbeitgebervertretung. Außerdem würden die bisherigen Einkommensberichte zeigen, dass es zwar Gehaltsunterschiede gebe, diese jedoch "zumeist objektive Gründe" hätten. (Katharina Mittelstaedt, 9.5.2018)