Migranten in einem offiziellen Auffanglager am Rand der libyschen Hauptstadt Tripolis.

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Migranten und Flüchtlinge im Niger werden entweder nach Europa umgesiedelt, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, oder sie erhalten Asyl im Niger.

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Einen Monat lang konnten keine Flüchtlinge und Migranten aus Libyen in den Niger geflogen werden. Die Evakuierungen des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR wurden gestoppt. Der Grund: Zwar unterstützen mehrere europäische Staaten, Kanada und die USA die Forderung, Menschen aus den überfüllten und heruntergekommenen Lagern Libyens holen. Doch ließen sie sich zu viel Zeit, um die Schutzansuchen der Personen, die daraufhin im Niger verharrten, zu überprüfen.

Die Folge: Die Geflohenen saßen im Niger fest, die Regierung des westafrikanischen Binnenstaates trat auf die Bremse. Solange die Menschen nicht entweder im Zuge eines Resettlements nach Europa oder nach einem abgelehnten Asylantrag zurück in ihre Heimatländer gebracht werden, würde man keine Personen mehr aufnehmen.

1.020 Wartende

"Außerdem geht uns das Geld aus", sagt Vincent Cochetel, der als UNHCR-Beauftragter für die Flüchtlingssituation im zentralen Mittelmeer zuständig ist. Eigentlich wollte man die Flüchtlinge und Migranten für maximal drei Monate im Niger belassen – bis ihr Fall überprüft wurde: "Doch so dringend die Evakuierungen für die möglichen Aufnahmeländer sind, so wenig dringend scheinen die Prüfungen zu sein", sagt Cochetel zum STANDARD.

Im Moment würden 1.020 Personen im Niger auf die Klärung ihres Schicksals warten, sagt der UN-Beauftragte. Und das, obwohl es sich um extrem traumatisierte Menschen handle. "Laut unseren Untersuchungen waren 82 Prozent der Menschen Folter ausgesetzt, Frauen wurden auf der Flucht vergewaltigt oder in einer anderen Form ausgebeutet", sagt Cochetel.

40.000 Plätze gefordert

Das Resettlement nach Europa verläuft schleppend. Zwar stieg die Zahl der Plätze in Aufnahmestaaten kontinuierlich von 18.000 Plätzen im Jahr 2016 auf 26.000 im Jahr 2017 an, doch seien damit noch immer nicht die vom UNHCR geforderten 40.000 Plätze erfüllt, sagt der UN-Beauftragte: "Wenn man den Leuten klarmacht, dass sie eine Chance auf Schutz haben und Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildung in den Transitländern, dann müssen sie nicht mehr das verrückte Risiko der Überfahrt auf sich nehmen."

Als Beispiel nennt er die Situation von Flüchtlingen aus Eritrea und Somalia, die vermehrt Freiheiten in den Flüchtlingslagern in Äthiopien erhalten haben und nun in kleineren Zahlen weiterreisen.

Und dabei ist Libyen als Transit- oder gar Aufnahmeland keine Option. "Die Lager dort sind massiv überfüllt", sagt Sebastian Jung, der für die NGO Ärzte ohne Grenzen drei Monate lang vor Ort war: "Es handelt sich um alte Lagerhallen, in denen die Geflohenen zum Teil weniger als einen Quadratmeter Platz haben." Das hat laut Jung zur Folge, dass sich Krankheiten wie Krätze oder Tuberkulose ausbreiten und die psychische Belastung der Betroffenen steigt. Die Menschen befinden sich de facto in Gefangenschaft, haben keinen Zugang zu Rechtsberatung. Rund 7.000 Personen sitzen im Moment in den Internierungslagern, wie Amnesty International schätzt. Ein starker Anstieg im Vergleich zu 4.400 Internierten im März. Vor allem die Einsätze der libyschen Küstenwache würde die Zahl steigen lassen, sagt die NGO.

"Abschreckungsszenario"

Trotzdem gelten die offiziellen Lager in der Hauptstadt noch als relativ sicher. In sogenannten "Gefangenenlagern" entlang der Schmuggelroute Richtung Mittelmeer herrschen laut Jung "extreme Bedingungen". Dort müssten die Menschen bis zu ein Jahr lang ihre Schulden bei den Menschenhändlern "abarbeiten": sprich Sklavenarbeit oder Zwangsprostitution.

Der de facto nichtexistente Staat Libyen hat in den gesetzlosen Zonen quasi keine Handhabe. Sie werden von Stammesführern und Milizen kontrolliert. Werden bei Razzien Menschen aus solchen Lagern befreit, kommt es zusätzlich zu einer Belastung in den offiziellen Zentren. Im November 2017 wurden durch solch eine Aktion an die 7.000 Flüchtlinge und Migranten in die Hauptstadt gebracht. "Die jetzige Situation ist keine Lösung", sagt Jung. "Man versucht ein Abschreckungsszenario aufzubauen, das schlussendlich auf dem Rücken der Migranten ausgetragen wird."

Für Cochetel ist klar, dass Europa nicht alle Schutzsuchenden aufnehmen kann: "Ein glaubwürdiges Asylsystem braucht auch effiziente Rückführungen." Gleichzeitig könnte ein System wie das der Resettlements aber für Chancengleichheit, vor allem für Frauen, sorgen: "Zum Großteil schaffen junge Männer die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer. Dabei wissen wir von Frauen, die in Flüchtlingslagern sitzen und ebenso Schutz brauchen." (Bianca Blei, 25.5.2018)