Bis vor ein paar Jahren hätten die meisten Gastrosophen auf die Frage nach einer "israelischen Küche" oder "israelischen_Restaurants" vielleicht noch einmal nachgefragt: Meinen Sie die jüdische Küche? Deren große Tradition – sodass man die kulinarischen Freuden nachvollziehen konnte – fand ja lange vor allem zwischen Buchdeckeln oder auf dem Familienherd statt. Ehrlich, in jüdische Restaurants ging man früher doch eher, um koscher, nicht um wirklich toll zu essen (mit allen rühmlichen Ausnahmen).

Oder war mit der Frage die Küche Israels gemeint, die nahöstliche also? Man weiß ja, die berühmten Streitereien um die kulinarischen Eigentumsrechte: Falafel, Hummus & Co, deren "Diebstahl" die Araber gerne beklagen. Als hätten die autochthonen Juden in der osmanischen Provinz Palästina kein Kichererbsenpüree gemacht und gegessen.

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Nicht nur die lokale nahöstliche Küche und nicht nur Streetfood:
In Israel und in israelischen Restaurants erweitert sich
der geografische Horizont.
Foto: Picturedesk / Markus Kirchgessner

Das alles ist passé. Es gibt eine israelische Küche, und das Besondere ist, dass sie nicht so sehr aus einem Kanon genau definierter Gerichte und Rezepte besteht, sondern eher so etwas wie ein Lebensgefühl ist. Hip, jung, urban, mediterran, aber gleichzeitig weit in den Osten blickend, Indien, Asien, offen für Neues, eklektisch, aber nicht identitätslos. Eine echte Marke.

Die Zeiten, in denen der glückliche Besitzer von zwei Pässen – einer für die israelischen Stempel, der andere für arabische – behaupten konnte, dass man ja eigentlich nur in Beirut gut essen könne, sind längst vorbei.

Israelische Küche, israelische Köche sind heute ein Exportschlager auf der ganzen Welt. Berühmte Tel Aviver Restaurants haben ihre Filialen in London, Paris, New York eröffnet – auch in Wien, wie das Miznon von Eyal Shani in der Schulerstraße. Wenn man die Gastrokritik von Severin Corti im STANDARD vom Jänner 2016 liest, findet man es wieder, das beschriebene Lebensgefühl, schnell, laut, fröhlich, frisch. Und super Essen.

Die Fleischvermeidung

Mit koscher hat das in den allermeisten Fällen gar nichts zu tun. Dabei sind die jüdischen Speisegesetze durchaus dafür mitverantwortlich, dass diese Küche gar so abhebt: Die Vermeidung von Fleisch – nicht aus vegetarischen Gründen, sondern um sie nicht mit Milchprodukten zu vermischen – führt eben zu besonderer Kreativität, was den Umgang mit Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Nüssen und so weiter anbelangt. Vegetarier sind da bestens bedient, vegan kommt dazu, weil’s modern ist.

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Fleischvermeidung führt zu besonderer Kreativität, was den Umgang mit Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Nüssen und so weiter anbelangt.
Foto: Picturedesk / Markus Kirchgessner

Als berühmtester israelischer Koch würde wohl Yotam Ottolenghi genannt, um dessen Rezepte man als kulinarisch Interessierter ja gar nicht herumkommt. Er selbst kocht nicht mehr in Israel, sondern in London und hat genau den vorher beschriebenen Weg von regional-mediterran – etwa in seinem hinreißenden Jerusalem-Kochbuch gemeinsam mit dem Palästinenser Sami Tamimi – zu einer Öffnung für ganz andere Einflüsse genommen.

Er selbst verkörpert genau die Weltoffenheit, für die in Israel die Stadt Tel Aviv steht, wo man das religionsschwere Jerusalem gerne verdrängt. Etwa wenn er und Tamimi sich am Ende von "Jerusalem" bei ihren Lebensgefährten Karl und Jeremy bedanken.

Sein vegetarisches Kochbuch ist die Bibel in vielen fleischlosen Haushalten. Aber auch in Rezepten, bei denen Fleisch mitspielt, kommt die Protagonistenrolle oft dem Gemüse zu. Natürlich ist das eine alte Tradition: Die diversen gefüllten Gemüse gehören zu den herrlichsten Gerichten der Region, nahöstliche Fleischversteckerln, die, anders als die Schinkenfleckerln der Tante Jolesch, auch noch gesund sind.

Wenn die Qualität stimmt

Die Behauptung, die Küche des Vorderen Orient – wie man das früher nannte – sei von der Anlage her fleischlos, ist natürlich auch ein Stück weit PR-Kitsch. Es stimmt schon, dass die Qualität von Obst und Gemüse in Israel so ist, dass man vor den hiesigen Supermarktregalen in lautes Weinen ausbrechen könnte. Wer jemals eine israelische Avocado gegessen hat ...

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Israelische Küche, israelische Köche sind heute ein Exportschlager auf der ganzen Welt.
Foto: Picturedesk / Markus Kirchgessner

Aber natürlich haben sich die Levantiner, welcher Religion auch immer, stets gerne auf das ihnen erlaubte Fleisch gestürzt.

Und mit dem "Erlaubten" ist nicht zu spaßen. Die römischen Juden erlebten jüngst eine schwere Kränkung vonseiten des israelischen Oberrabbinats, das über die berühmten "Carciofi alla giudia" – in Israel als Fertiggericht aus Rom eingeführt – das Verdikt "nicht koscher" sprach.

Frittierte Artischocken, uraltes traditionelles jüdisches Gericht! Die Begründung dafür war, dass das Innere einer Artischocke niemals so geputzt werden könne, dass hundertprozentige Insekten- und Würmchenfreiheit garantiert ist. Na ja.

Der römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni und die Chefin der jüdischen Gemeinde, Ruth Dureghello, übermittelten dieses Jahr ihre Pessachgrüße jedenfalls auf einem Video, auf dem sie Artischocken putzend zu sehen waren. Ein bisschen Subversivität muss jede Religion aushalten. (Gudrun Harrer, 13.5.2018)

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