Wertvoller Beitrag zur Energiewende und Schutz vor dem Blackout oder historische Umweltsünde? Beim Thema Kleinwasserkraftwerke gehen die Meinungen auseinander.

Foto: Kleinwasserkraft Österreich / Thomas Buchsbaum

Statistisch gesehen sind Österreichs Fließgewässer alle 800 Meter durch eine Barriere unterbrochen.

Foto: Kleinwasserkraft Österreich

Blackout. Nichts geht mehr. Das Horrorszenario eines europaweiten Stromausfalles hat etwas von Science-Fiction. Zuletzt zeigten die großflächigen Netzausfälle im Jahr 2003, als in Teilen Europas wie etwa Italien und in Nordamerika die Lichter ausgingen, wie verwundbar die moderne Gesellschaft ist. Doch der letzte große österreichische Ausfall datiert zurück auf das Jahr 1976. Das ist zu lange her, um zu beunruhigen.

Dennoch: "Wir wiegen uns in trügerischer Sicherheit", sagt Artur Egger, technischer Vorstand des regionalen Tiroler Energieversorgers Hall AG: "Es kommt immer wieder zu gefährlichen Engpässen im europäischen Netz." Die Bevölkerung bemerke dies nicht, solange alles wie gewohnt funktioniere. Dabei mahnt Egger eindringlich: "Auch Strom ist ein begrenztes Gut und daher nicht unendlich vorhanden."

Notversorgung lokal sichern

Bei der Hall AG hat man in Zusammenarbeit mit den von ihr versorgten Gemeinden daher 2016 ein Projekt gestartet, das auf diesen Ernstfall vorbereitet. Herzstück des Notfallplans zur Energieversorgung sind Kleinwasserkraftwerke, also Anlagen mit einer Engpassleistung bis zu zehn Megawatt.

Sechs Stück davon betreibt die Hall AG. Zwei Bach- und vier Trinkwasserkraftwerke liefern den Großteil der rund 50 Millionen Kilowattstunden, die der Energieversorger jährlich produziert. Das ist genug, um die kritische Infrastruktur, wie das Bezirkskrankenhaus, die Blaulichtorganisationen oder auch die Straßenbeleuchtung im Fall eines Blackouts am Laufen zu halten.

"Wir würden im Ernstfall vier Stunden lang abwarten, was der Landesversorger, die Tiroler Wasserkraft AG, tut. Fährt die das Netz nicht hoch, machen wir es selbst", erklärt Egger. Denn der Wiederaufbau der Stromversorgung ist wegen der überregionalen Vernetzung nicht einfach.

Entsprechende Vorkehrungen für eine sogenannte Inselversorgung müssen getroffen werden, um das zu ermöglichen. Techniken wie Photovoltaik oder Windenergie würden sich dazu nicht eignen, erklärt Egger, weil sie nicht stabil genug seien. Mittels Wasserkraft sei hingegen eine stete Versorgung garantiert.

Bei Anlagen mit einer Engpassleistung bis zu zehn Megawatt spricht man von einem Kleinwasserkraftwerk.
Foto: Rudolf Laresser

In Südtirol wurde Ähnliches schon vor Jahren getan, erklärt Egger: "Dort können die Täler mittels Wasserkraft eigenständig mit Strom versorgt werden." Daher sehe man auf den Satellitenbildern vom italienischen Stromausfall 2003, dass der gesamte Stiefel bis auf Südtirol und Sardinien, die inselversorgt sind, dunkel war.

Kleinwasserkraftwerke machen heute noch rund zehn Prozent der österreichischen Stromversorgung aus. Sie wären in der Lage, mehr als 50 Prozent der heimischen Haushalte zu bedienen, sagt Christoph Wagner, Präsident von Kleinwasserkraft Österreich (KWK), dem Interessenverband der Branche.

Wagners Großvater hat 1890 Sarleinsbach mit Strom versorgt – den ersten Ort im Mühlviertel. Es waren Sensenschmieden und Mühlen, die den Grundstein zur Elektrifizierung Österreichs gelegt haben, erklärt er. Der erste Ort mit öffentlicher Stromversorgung war 1886 dank Kleinwasserkraft das niederösterreichische Scheibbs.

Erst vor gut 40 Jahren liefen die großen Landesversorger den bis dahin maßgeblichen hunderten kleinen und regionalen Netzen den Rang ab. Denn um den steigenden Strombedarf decken zu können, wurden übergeordnete und stabilere Netze notwendig.

Trotzdem hat in Österreich eine Vielzahl kleiner Anlagen überlebt. Das mache sich nun bezahlt, glaubt KWK-Präsident Wagner: "Weil diese dezentrale Struktur eine gewisse Stabilität gibt." In der Kleinwasserkraftbranche spricht man von einem "wahren Schatz", den man wiederentdecke. Allerdings kann man preislich am Strommarkt nicht mithalten, da der durch Förderungen "vollkommen verzerrt" sei.

"Sieben bis acht Cent pro Kilowattstunde wären ein realistischer Preis, um Kleinwasserkraftwerke ohne Förderung betreiben zu können", sagt Wagner. Doch aktuell werde die Kilowattstunde an der Börse für rund 3,5 Cent gehandelt.

Kleinwasserkraftwerke standen am Beginn der Elektrifizierung Österreichs. Meist waren es alte Mühlen, wie hier im Lesachtal, oder Sensenschmieden, die zur Stromerzeugung genutzt wurden.
Foto: Kleinwasserkraft Österreich

Mit Blick auf die von der Regierung ausgerufene Energiewende – bis zum Jahr 2030 sollen 100 Prozent der verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen – hofft Hall-AG-Vorstand Egger auf eine Renaissance der Kleinwasserkraft. Einerseits durch Modernisierung, andererseits aber auch durch Neubau von Anlagen. Bis zu einer Terawattstunde seien damit allein in Tirol möglich, schätzt Egger.

Kritischer sieht das Fließgewässerexperte Gerhard Egger vom WWF: "Im großen Bild der Energiewende spielt die Wasserkraft eine unbedeutende Rolle." Der Großteil des nötigen Energiebedarfs sei durch Reduktion des Verbrauches um bis zu 50 Prozent zu bewerkstelligen. Ausbauen müsse man lediglich Photovoltaikanlagen und Windkraft.

"Small is not beautiful"

Mit Kleinwasserkraftwerken geht Egger hart ins Gericht: "Small is not beautiful. Laut einer Erhebung der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien ist Österreich mit Wasserkraftwerken zugepflastert." 5200 Anlagen insgesamt seien zu viele.

Egger kritisiert vor allem deren schlechten Wirkungsgrad. So würden 4800 dieser Anlagen zusammengerechnet nur fünf Prozent der Stromversorgung durch Wasserkraft ausmachen. Zudem sei der Naturverbrauch von Kleinwasserkraftwerken enorm: "Nur mehr 15 Prozent der heimischen Gewässer sind intakt, alle 800 Meter sind Österreichs Flüsse statistisch durch einer Barriere unterbrochen." Der Schaden, den ein Kleinwasserkraftwerk anrichte, sei fünfmal höher als der eines Laufkraftwerkes.

Umweltschützer kritisieren, dass nur mehr 15 Prozent der heimischen Gewässer intakt sind und sprechen sich daher gegen einen Ausbau der Kleinwasserkraft aus.
Foto: Kleinwasserkraft Österreich

Der WWF lehnt daher Neubauten prinzipiell ab. Effizienzsteigerung bestehender Anlagen sei wünschenswert, allerdings plädiert Egger dafür, auch den Rückbau veralteter Kleinwasserkraftwerke zu überlegen.

Ein Ort, der die Energiewende bereits geschafft hat, ist Stubenberg in der Oststeiermark. Mittels Kleinwasser-, Sonnen- und Biomassekraftwerken wird ein Eigenerzeugungsanteil von mehr als 200 Prozent erreicht. Fast drei Viertel dieser Energie werden von den beiden Kleinwasserkraftwerken an der Feistritz produziert, wie E-Werk-Leiter Johann Pfeifer erklärt. Und auch in Stubenberg hat man dank der Eigenenergieleistung Vorkehrungen für den drohenden Blackout getroffen.

"Bei einem europaweiten Ausfall würde es sechs bis zehn Tage dauern, um das Netz wiederaufzubauen", sagt Pfeifer. Stubenberg wäre hingegen innerhalb von zwei Stunden wieder komplett versorgt. Die Gemeinde kann eine eigene 20-Kilovolt-Insel aufbauen und neben der Strom- auch die Wärme- und Wasserversorgung sowie die Abwasserentsorgung sicherstellen. Der Oststeirer spricht von einem Glücksfall für Österreich, dass durch die Kleinwasserkraft im vergangenen Jahrhundert so viele kleinstrukturierte Einheiten gewachsen seien.

Zugleich kritisiert Pfeifer mangelndes Bewusstsein für die Hintergründe der Stromversorgung: "Ein Ausfall würde in Europa den totalen Zusammenbruch bedeuten. Aber für die Konsumenten zählt heute nur der Strompreis." (Steffen Arora, 12.5.2018)