Das Video war eine Klickgranate auf Youtube: Junge Leute auf der Rückfahrt aus dem Urlaub kommen an einem Verkehrsunfall vorbei; ein Auto brennt, die Feuerwehr löscht, auf dem Boden liegt eine verkohlte Leiche. Auf die Aufforderung der Einsatzkräfte hin, das Gaffen und Filmen mit dem Smartphone zu unterlassen, reagieren die Freunde patzig. "Krasser Unfall, und wir sind live dabei" lautet der Text zu einem Foto des verbrannten Opfers, das ein Bursch via Handy seiner Mutter schickt. Weil Mama nicht reagiert, ruft er sie an – und hört am Unfallort das Handy des Opfers läuten. Die Tote ist seine Mutter.

Immer mehr Länder sehen sich dazu veranlasst, schärfere Maßnahmen gegen sogenannte Unfallgaffer zu verhängen. Auch in Österreich soll die Polizei künftig Verwaltungsstrafen von 500 Euro bis zu zwei Wochen Gefängnis verhängen können, wenn notorische Herumsteher Hilfs- und Rettungseinsätze behindern oder filmen. Innenminister Herbert Kickl hofft, dass sich die neuen Sanktionen, die noch vom Parlament beschlossen werden müssen, dann schnell herumsprechen werden und abschreckend wirken.

Doch das ist zu bezweifeln. Denn die schaurige Schaulust ist kein Kind des digitalen Zeitalters. Hochwasserschauen, während Betroffene im Schlamm um ihr Hab und Gut rackern, war in Österreich schon immer eine beliebte Freizeitbeschäftigung, Großbrände ziehen seit jeher Massen an, und Reisen nach Tschernobyl sind wohl der Gipfel des globalen Katastrophentourismus.

Verbote haben jedenfalls immer auch eine kontraproduktive Seite, denn wenn es heißt "Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen", gibt es garantiert etwas zu sehen. Denkt man zumindest. Das öffentliche Prozedere unmittelbar nach Unglücksfällen oder auch nach Verbrechen auf offener Straße gehört daher überdacht. In den USA beispielsweise rücken psychologisch geschulte Tatortmanager gemeinsam mit Feuerwehr, Polizei und Rettung aus.

Was fehlt, sind Kampagnen. Aufklärung kann besser als Strafandrohung aufzeigen, dass Unfallvoyeure mit dem Leben anderer spielen. Das eingangs erwähnte Video hat Millionen von Zusehern den Atem stocken lassen. Und das soll es auch, denn es sind gestellte Szenen. Filmemacher von der Dortmunder Agentur Blickfänger haben den Clip ins Netz gestellt, um uns die Lust am Gaffen zu verderben und um uns vor Augen zu führen, wie einfache Klicks Persönlichkeitsrechte verletzen können. (Michael Simoner, 11.5.2018)