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Israelis in Lissabon jubeln über Nettas ESC-Sieg...

Foto: Reuters / Rafael Marchante

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...und auch die Siegerin ist überglücklich.

Foto: Reuters / Pedro Nunes

Es hat nur wenige Minuten gedauert, bis Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der Sängerin Netta Barzilai zu ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest gratulierte und im patriotischen Geist erklärte: "Du hast dem Staat viel Ehre gebracht." Mit dem Satz "Nächstes Jahr in Jerusalem" stellte er auch gleich klar, wo der nächste ESC ausgetragen werden soll.

Nun ist es verständlich, dass der Regierungschef eines Landes, das gerade 70. Geburtstag feiert und so vielen Anfeindungen ausgesetzt ist, über einen solchen PR-Erfolg jubelt. Aber die politische Vereinnahmung der Sängerin, die Verteidigungsminister Avigdor Lieberman noch auf die Spitze trieb, löst dennoch Unbehagen aus. Denn die 25-jährige Sängerin verkörpert ein Israel, das der Politik der Regierung Netanjahu mit ihren nationalistischen und religiösen Koalitionsparteien so gar nicht entspricht.

Hedonistische und schrille Metropole

Es ist das Israel von Tel Aviv: tolerant, kreativ, hipp, hedonistisch, innovativ, schrill, feministisch, schwul, lebenslustig und ungemein modern. Dem steht das Israel von Jerusalem gegenüber: spirituell, religiös, manchmal bigott, angespannt und zunehmend nationalistisch, was sich nicht nur durch den Ausbau jüdischer Siedlungen in arabischen Stadtvierteln niederschlägt.

Natürlich hat auch Jerusalem liberale Seiten, aber das Leben wird immer mehr von der rasch wachsenden Ultraorthodoxie geprägt. Und der Nahost-Konflikt ist anders als in Tel Aviv allgegenwärtig, der Status der offiziell vereinten Stadt ein ständiger Streitpunkt. Die umstrittene Eröffnung der US-Botschaft in der Stadt am Montag ist ein Schlag ins Gesicht für die mehr als 300.000 palästinensischen Einwohner, die Ostjerusalem als Hauptstadt ihres Staates reklamieren.

Startups und säkulare Kultur

Tel Aviv hingegen ist die Metropole der erfolgreichen Start-Ups und einer durch und durch säkularen Kultur. Ein Teil davon ist die schräge Musik- und Theaterszene, in der Netta sich bewegt.

Gay Parade in Tel Aviv, das für seine Schwulenszene bekannt ist.
Foto: AFP / Jack Guez

Ihr Lied Toy hat nichts mit jüdischer Tradition, aber viel mit dem weiblichen Lebensgefühl in der #MeToo-Ära zu tun. Das erklärt wohl auch ihren Erfolg im Publikumsvoting. Und sie steht für jene Seite Israels, die weltweit auch von denen Bewunderung erfährt, die die Besatzung- und Siedlungspolitik vehement kritisieren.

"Ich liebe mein Land"

Junge Israelis wie Netta sehen darin wenig Widerspruch, denn viele kümmern sich nicht um Politik. "Ich liebe mein Land", lautete eines ihrer ersten Reaktionen. Aber gemeint hat sie damit wohl nicht das Israel der Siedlungen im Westjordanland, sondern jene Welt, in der sie lebt und auftritt. Das galt auch schon für die letzte israelische ESC-Siegerin, die transsexuelle Sängerin Dana International, die 1999 den Contest nach Jerusalem brachte.

Der nächste ESC sollte daher nicht in Jerusalem stattfinden, sondern in Tel Aviv, das diesen Erfolg ermöglicht hat. Das wäre auch fair gegenüber den ESC-Fans, darunter auch viele Homosexuelle, die Tel Avivs tolerante Atmosphäre lieben. Doch die Regierung wird es sich wohl nicht nehmen lassen, in Jerusalem auch ein politisches Programm herauszustreichen, das Nettas Botschaft diametral entgegensteht. (Eric Frey, 13.5.2018)