Experte Nik Nafs über heimische Moscheen: "Hier instrumentalisiert ein autoritärer Staat Institutionen, um Kriegshetze zu betreiben."

Foto: Robert Newald

STANDARD: Die Islamische Glaubensgemeinschaft nennt die Kriegsspielereien mit Kindern in einer Moschee des türkischen Verbandes Atib einen Einzelfall. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen als Kinder- und Jugendanwalt?

Nik Nafs: Meinen Beobachtungen nach handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Wir wissen aus vielen Moscheen, dass es immer wieder zu Gebeten und anderen Inszenierungen kommt, in denen Märtyrertum und Krieg verherrlicht werden. Da werden Kinder eingespannt, um – wie bei Atib – die historische Schlacht von Gallipoli nachzustellen oder – wie in anderen Moscheen – Schwüre auf das heilige Buch und Schwert abzulegen, ihr Vaterland gegen Kommunisten, Zionisten und wenn auch immer bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen. Hier instrumentalisiert ein autoritärer Staat Institutionen in Österreich, um Kriegshetze zu betreiben.

STANDARD: Inwiefern?

Nik Nafs: Diese Phänomene sind nicht hier entstanden, sondern spiegeln die Entwicklung in der Türkei wieder. Seit drei Jahren ist dort diese Vermischung von Islamismus und Nationalismus zu beobachten, vorallem die regierende AKP stachelt die ethnischen und religiösen Gefühle an – mittlerweile macht die Erdogan-Partei mit den rechtsextremen Grauen Wölfen gemeinsame Sache. Die verschiedenen Verbände, die hierzulande Kinder- und Jugendarbeit machen, sind keine einfachen Moscheevereine, sondern fungieren alle Sprachrohre ihrer Mutterparteien in der Türkei. So ist Atib das Instrument der AKP...

STANDARD: ... und trägt Erdogans Ideologie nach Österreich?

Nik Nafs: Im Frühjahr hat der Chef der türkischen Religionsbehörde eine neue Welle an Märtyrerkult losgetreten, indem er den bewaffneten Kampf als höchste Form des Dschihad angepriesen hat. Da haben wir in Europa jahrelang für die Umdeutung des Begriffs gekämpft, wonach Dschihad Anstrengung im Geiste für moralisch richtiges Verhalten bedeutet – und dann macht dieser Mann mit einem Satz soviel zunichte. Wir müssen unsere Kinder vor dieser Indoktrinierung schützen, denn hier werden alle, die nicht zum gleichen Religionskreis gehören, als zweitklassige Menschen abgewertet. Eine Moschee sollte ein Ort des Friedens sein. Doch statt Zusammenhalt zu schaffen, treiben diese Aktivitäten einen Keil in die Gesellschaft.

STANDARD: Was lässt sich dagegen unternehmen?

Nik Nafs: Vor drei Jahren haben wir versucht, mit den Moscheen Mindeststandards für die Kinder- und Jugendarbeit zu vereinbaren: Die Imame sollten Gewaltprävention betreiben, Religion spielerisch vermitteln, ohne den Kindern mit den Strafen Gottes und dem Konzept von Haram und Halal – verboten, nicht verboten – zu kommen. Fuat Sanac, damals Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft zeigte sich einsichtig: Er kenne das Problem und wolle etwas tun. Doch es war der Atib-Verband mit seinem Vertreter Ibrahim Olgun, der die Arbeit blockiert hat. Heute, wo er als Sanac‘ Nachfolger selbst an der Spitze der Glaubensgemeinschaft steht, verhält sich Olgun genauso: Er bewegt sich nicht und blockiert.

STANDARD: Alle Bemühungen sind gescheitert?

Nik Nafs: Ein Verband, die Union Islamischer Kulturzentren hat trotzdem einen Lehrgang für ihre Imame organisiert. Doch letztlich sind wir als Kinder- und Jugendanwaltschaft auf Goodwill angewiesen. Deshalb sollte die Politik eingreifen: Das Kultusamt muss, wie beim Islamgesetz geschehen, eine neue Vereinbarung mit diesen Organisationen schließen, dass deratige Abwertungsideologien ein No-Go sind. Wer sich nicht daran hält, muss die Aktivitäten einstellen.

STANDARD: Erst einmal will die Regierung ein Kopftuchverbot an Volksschulen umsetzen. Hilft das?

Nik Nafs: Kein vernünftiger Mensch kann Kopftüchern bei kleinen Kindern befürworten. Die Frage ist aber: Was bewirkt dieser Schritt, ohne die Rahmenbedingungen zu ändern? Eltern könnten ihren Nachwuchs zum häuslichen Unterricht anmelden oder in konfessionelle Schulen stecken, wo das Kopftuchverbot aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht durchsetzbar sein wird. Diese Kinder verschwinden dann ganz aus der Öffentlichkeit.

STANDARD: Sind es die Moscheen, die früh zum Kopftuch drängen?

Nik Nafs: Es gibt schon extreme Auslegungen, die auch Kindern ein Kopftuch vorschreiben, aber in der Regel haben Imame mir gegenüber versichert: Aus theologischer Sicht sei das nicht nötig – doch die Eltern wollten es so.

STANDARD: Warum sind islamistische Ideologien für eine beträchtliche Gruppe von Menschen in Österreich verlockender als die viel zitierten westlichen Werte?

Nik Nafs: Viele Menschen leben seit Jahrzehnten hier im Land, haben aber den Eindruck, sie hätten nie wirklich dazu gehört. Die islamistischen Agitatoren geben ihnen das Gefühl, nicht ohnmächtig zu sein, einen großen Bruder, einen Aufpasser zu haben. Ein Jugendlicher, der von Dschihadisten geködert wurde, hat mir erzählt, dass sie ihm eine Waffe, ein Auto, ein Frau, eine Wohnung versprachen – ihm, der nicht einmal die Hauptschule geschafft hat, keinen Job fand, ein "Loser" war. Von einer Ohnmachtstellung in die Position eines Richters über Leben und Tod: Das ist eine unglaubliche emotionale Aufwertung. (Gerald John, 15.5.2018)