Die Gestensteuerung von Android P wird bei bestehenden Geräten übrigens optional bleiben, um zu verhindern, dass sich die Nutzer nach einem Upgrade plötzlich nicht mehr auskennen.

Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Seit den Anfängen von Android setzt Google im Kern auf das gleiche Konzept zur Systemnavigation, nun soll sich dies aber ändern. Mit der in der Vorwoche präsentierten ersten Beta für Android P hält eine neue Gestensteuerung Einzug. Doch nach einigen Tagen Nutzung zeigt sich: Das Ganze braucht noch einiges an Arbeit.

Konzept

Statt den bisherigen drei Knöpfen gibt es künftig nur mehr einen einzigen: Den Home-Button. Dieser verhält sich zunächst wie bisher bekannt: Ein kurzer Touch darauf ruft den Homescreen auf, ein Langdruck offenbart den Google Assistant. Zusätzlich sind jetzt gewisse Gesten hinzugekommen: Wer kurz über den Button nach oben wischt, kommt in den Task Switcher, womit einer der bisherigen Knöpfe ersetzt wird. Ebenfalls sehr nützlich: Ein kurzer Swipe nach rechts wechselt immer rasch zur letzten App zurück, ähnlich wie es bisher mit einem doppelten Touch auf den Task-Button möglich war. Und mit einem längeren Ziehen nach rechts und links kann zwischen all den zuletzt geöffneten Apps gewechselt werden.

Diese Kernaufgaben funktionieren an sich gut, auch wenn es im Detail noch Probleme gibt. So wird bisher auf Pixel-Smartphones ein Swipe von unten nach oben zum Aufruf des App Launchers genutzt, was natürlich der neuen Geste für die Task-Übersicht im Weg steht. Also erreicht man den App Launcher nun mit einem besonders langen Swipe nach oben – was sich aber gerade bei großen Smartphones als sehr mühsam herausstellt. Alternativ ist der App Launcher über einen doppelten Swipe nach oben zu erreichen – eine kaum weniger umständliche Lösung.

Back-Button-Verwirrungen

Die wirklichen Probleme liegen aber an anderer Stelle: Den Back-Button gibt es nämlich sehr wohl noch, er wird automatisch innerhalb von Apps dargestellt. Selbst wenn man davon absieht, dass dadurch das Interface grafisch unausgewogen wird, entsteht doch der Eindruck, dass Google hier der Mut gefehlt hat, wirklich voll und ganz auf Gestennavigation zu setzen. Konzeptionell präsentiert sich das Ganze also als eine Art Mittelweg zwischen einem kompletten Gestensystem und der alten Systemnavigation – dass man den Nutzern mit so einer Mischung einen Gefallen tut, darf bezweifelt werden.

Nur mehr ein Button für alles? Weit gefehlt – praktisch überall wird auch weiter der Zurück-Knopf angezeigt.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Kein Platzgewinn

Dazu kommt, dass Google durch diesen Kompromiss – zumindest derzeit – auch auf einen der größten Vorteile einer Gestensteuerung verzicht: Den Platzgewinn. Die neue Navigation nimmt genauso viel Platz am Bildschirm ein wie die alte Steuerung, der gewohnte schwarze Balken am unteren Bildschirmrand bleibt also bei den meisten Apps vorhanden. Google verweist darauf, dass Platzgewinn auch nicht das primäre Ziel gewesen sei, sondern die Vereinfachung der Navigation. Und doch erscheint es etwas seltsam, dass man diese Möglichkeit nicht ergreift.

Reaktion

In einer Reaktion auf die Kritik an der neuen Gestensteuerung verweist Google gegenüber US-Medien darauf, dass man derzeit intern bereits eine neue Version testet, die viele der angesprochenen Probleme beseitigt. Dies betonte im Rahmen der Google I/O auch Android-Entwicklungschef Dave Burke gegenüber dem STANDARD. Er gewährte dabei auch bereits einen kurzen Blick auf eine neuere Android-Testversion. Und dabei zeigte sich, dass die erwähnten Unterschiede im Detail zu suchen sind: So wurde der kritisierte Zugriff auf den App Launcher wieder vereinfacht, zudem ist im Task Switcher ein "Clear All"-Button hinzugekommen, der in der Beta noch fehlt.

Stärken

Bei all der Kritik darf nicht übersehen werden, dass das neue System durchaus seine Stärken hat. Vor allem der neue Task Switcher weiß schnell zu gefallen. Mit seiner seitlichen Anordnung erinnert er an das einst von WebOS für solche Aufgaben genutzte Konzept. Zudem gibt es einige nette Details. Dazu zählt etwa, dass auch in diesem Modus mit sämtlichen Apps direkt interagiert werden kann. Dadurch kann dann etwa sehr übersichtlich Text aus einer App kopiert und in eine andere eingefügt werden.

Auch der Split-Screen-Modus ist nun in diese Ansicht gewandert. Anstatt – wie bisher – hinter einem Langdruck auf den Task-Button versteckt zu sein, ist diese Funktionalität nun über ein Icon bei der jeweiligen App in der Überblicksansicht zu erreichen. Das ist nicht nur einfacher aufzuspüren, es wird auch das Problem beseitigt, dass dieser Modus bisher oft unabsichtlich ausgelöst wurde. Ein weiteres Plus des neuen Task Switchers ist die Möglichkeit, hier rasch Apps über einen Swipe nach oben zu beenden. Ähnlich gab es das zwar schon bisher unter Android, bei der Gestennavigation des iPhone X ist diese Aufgabe aber wesentlich umständlicher implementiert.

Fazit

Dass es noch kleinere Bugs und Timing-Probleme bei den Animationen gibt, ist bei einer Beta-Version zu erwarten. Die konzeptionellen Defizite verblüffen hingegen, immerhin stehen solche Überlegungen gemeinhin am Anfang der Entwicklung. Insofern ist es auch fraglich, ob man in dieser Hinsicht bis zur fertigen Release noch Änderungen vornehmen wird. Und das darf durchaus Sorge bereiten, immerhin könnte dies zur Folge haben, dass so mancher Hersteller das neue System nicht übernehmen wird, und es keine – mehr oder weniger – konsistente Systemsteuerung über alle Android-Geräte hinweg mehr gibt. (Andreas Proschofsky, 14.5.2018)