Wien – Ursprünglich kam er aus dem Theater. Er hatte in Boston Kunst studiert und war Mitglied experimenteller Ensembles. Doch als Glenn Branca 1976 von Boston nach New York zog, tauchte er in die brodelnde Szene der Lower East Side ein. Dort lernte er Bands wie Suicide kennen und beschloss, selbst ebenfalls eine Gruppe zu gründen: die kurzlebigen Theoretical Girls. Von der ist nur eine Single erschienen, doch er hatte Blut geleckt.

Dröhnen als Haltungsfrage: Glenn Branca starb mit 69.
Foto: RBMA

Inmitten einer Legion fröhlicher Dilettanten rekrutierte er Gitarristen – schnell entstand ein kleines Kollektiv, das die Idee, Songs zu schreiben, zugunsten einer größeren Vision verwarf. Symphonien sollten es werden, Gitarrensymphonien.

Mit diesen schrieb der 1948 in Harrisburg, Pennsylvania, geborene Musiker Musikgeschichte, seine letzten Arbeiten waren Kompositionen für 100 Gitarristen. Eine Neue wird nicht mehr dazukommen, am Montag ist Glenn Branca im Alter von 69 Jahren einem Krebsleiden erlegen.

Fixstern der No-Wave-Ära

Branca war einer der Fixsterne der No-Wave-Ära. Seine erste Platte erschien 1980 bei 99 Records: Lesson No. 1 war die erste Platte des Labels, das in der Folge Bands wie ESG, Liquid Liquid oder Konk produzierte, die heute allesamt zum Heiligen Gral der No Wave zählen. Einer Szene, die sich in der Zeit zwischen Punk und New Wave experimentierwütig zwischen alle Stühle setzte. Sein 1981 erschienenes Album The Ascension zählt zu den wichtigsten Arbeiten dieser Ära. Branca lud dafür eine Riege von Gitarristen zum Vorspielen ein. Darunter befand sich Lee Ranaldo, der später mit Sonic Youth Weltkarriere machen sollte.

Das Titelstück von Glenn Brancas Album "The Ascension". Das Artwork des Covers stammt von Robert Longo.
hempyelmo

Die Musik bestand aus sich langsam aufbauenden, lauter und mächtiger werdenden Gitarrenkompositionen, die gern die Zehn-Minuten-Grenze sprengten, um ihre hypnotische Kraft zu entfalten. Live, ohne die zeitliche Beschränkung, die eine Schallplattenseite ihm auferlegte, dirigierte der Maestro seine Gitarristen oft noch viel länger.

Glenn Branca mit seiner Symphonie n°16 "Orgasm" in der Philharmonie de Paris.
Beta Gamma

Er zog viele Bilderstürmer seiner Zeit an. Etwa Page Hamilton, der später mit Helmet berühmt wurde. Das Cover von The Ascension gestaltete der Künstler Robert Longo, zu Brancas Umfeld zählten zudem Thurston Moore und seine Freundin Kim Gordon: Mit Lee Ranaldo und dem Drummer von Konk, Richard Edson, gründeten die beiden Sonic Youth, deren erstes Album Branca auf seinem Label Neutral verlegte. Dort erschien auch die erste Platte der nihilistischen Lärmbitzler Swans.

Brancas Arbeit beeinflusste unzählige Formationen. Die geistesverwandten Dröhn-Götter Sunn O))) kondolierten via Facebook, Sonic Youth sowieso.

Letzter Auftritt beim Donaufestival

Der Mann mit der wilden Mähne veröffentlichte 22 Alben. Mainstream-Erfolg suchte er nie, zuletzt war er hierzulande 2010 beim Donaufestival in Krems zu sehen. Die mitreißende Wucht seiner Arbeit war bis zuletzt ungebrochen. (Karl Fluch, 15.5.2018)