Krankheiten sind ein Zeichen ihrer Zeit: Adipositas ist in den Industrieländern ein steigendes Problem: Die Nahrungsmittelhersteller haben einen großen Anteil am Problem.

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Dicke Menschen sind an ihrem Übergewicht selbst schuld. Sie bräuchten ja nur weniger zu essen: Das ist eines jener Vorurteile, mit denen nicht nur Übergewichtige selbst, sondern auch die Medizin und die Aktanten im Gesundheitssystem zu kämpfen haben. "Die Ursachen für Adipositas sind allerdings viel komplexer", sagt Friederich Hoppichler, Präsident der österreichischen Adipositas Gesellschaft (ÖAG).

Auch wenn es schlanken Menschen unverständlich beziehungsweise einfach erscheint, so darf man den Betroffenen nicht die Hilfe verweigern, indem man die Behandlung von Adipositas auf "weniger Essen und mehr Bewegung" herunterbricht und nach dem Motto "selbst schuld" ignoriert. "Nicht umsonst wurde Adipositas von der WHO als Erkrankung anerkannt. Keiner würde auf die Idee kommen, einen Patienten mit einem Bronchuskarzinom nicht zu behandeln, nur weil dieser Raucher war", betont die Internistin Johanna Brix, Vorstandmitglied der ÖAG.

Stoffwechsel entgleist

"In den letzten Jahren hat die Hirnforschung interessante Mechanismen entdeckt, die zeigen, weshalb es für einen Menschen, der einmal adipös geworden ist, wirklich schwierig ist, nach einer Gewichtsabnahme dauerhaft schlank zu bleiben". Brix führt aus: "Aus evolutionstaktischen Gründen versucht unser Gehirn immer das einmal bereits erreichte maximale Gewicht erneut zu erreichen. Dadurch bleibt für Menschen, die eine Gewichtsabnahme geschafft haben, eigentlich immer der Kampf, nicht wieder zuzunehmen.

Der Lebensstil ist zwar bei weitem nicht der einzige Faktor, der zu Adipositas führt, aber bedeutend. So ist allgemein bekannt, dass durch die Zunahme von sogenanntem ‚processed food‘ (industriell verarbeiteten Lebensmitteln), durch größere Portionsgrößen, weniger Bewegung, aber auch weniger Schlaf das Risiko von Adipositas steigt. Hoppichler erklärt: "Am bedeutsamsten wäre somit Maßnahmen für die Prävention zu ergreifen, das Bewusstsein für gesunde Ernährung zu erhöhen und Freude an Bewegung zu vermitteln. Alle diese Maßnahmen müssen im Volksschulalter und Kindergartenalter starten, da wir bereits in dieser Altersgruppe einen starken Anstieg an übergewichtigen Kindern sehen."

Immer mehr Jugendliche betroffen

Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2017 liefert erschreckende Zahlen für Jugendliche: bereits 31,2 Prozent der schulpflichtigen zehn- bis 19-Jährigen sind übergewichtig oder adipös. "Egal ob Osten oder Westen, die Übergewicht-Epidemie hat Österreich fest im Griff", so Hoppichler, von 2012 bis 2017 ist die Zahl von 7,3 Prozent auf aktuell 10,7 Prozent angestiegen. Buben besonders betroffen.

Als wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung von Übergewicht zeigt sich der sozioökonomische Status. Vier von zehn (39,4 Prozent) der Kinder und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien sind übergewichtig und adipös. Bei einkommensstarken Familien trifft dies "nur" auf rund zwei von zehn Kindern (24,8 Prozent) zu. Hervorzuheben ist, dass aus einkommensschwachen Familien doppelt so viele Kinder stark übergewichtig sind wie aus einkommensstarken Familien (15,3 Prozent versus 7,4 Prozent).

Magen-Bypass als Therapie

Eine rezente Studie der MedUni Wien gemeinsam mit dem Institut für pharmaökonomische Forschung (Evelyn Walter) und der Österreichischen Gesellschaft für Adipositaschirurgie unter der Leitung von Gerhard Prager (Universitätsklinik für Chirurgie) zeigt, dass durch Adipositas-Chirurgie, etwa durch einen Magenbypass, sehr viel Geld gespart werden, aber auch die Lebensqualität verbessert und Leben verlängert werden kann.

Unbehandelt führt das krankhafte Übergewicht zu vielen Folgeerkrankungen wie Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen, Fettleber oder Hyperlipidämie (eine allgemein erhöhte Konzentration des Cholesterins und der Triglyceridwerte im Blut). In der aktuellen Studie konnte anhand von exakten Berechnungen nun gezeigt werden, dass ein metabolischer, chirurgischer Eingriff zur rechten Zeit viel Geld und Leiden erspart. "Wir konnten berechnen, was 20 Jahre später passieren würde, wenn dieser Eingriff nicht gemacht wird bzw. was sich die Betroffenen alles an Kosten sparen und an Lebenszeit gewinnen", erklärt Prager, der auch Leiter der Adipositas-Ambulanz im AKH ist. (red, 19.5.2018)