Peter Payer
"Auf und Ab. Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien"
€ 34,90 / 200 Seiten, Brandstätter,
2018

Bild: Brandstätter

Peter Payer hat die Geschichte von Aufzügen beforscht.

Foto: Ilse Haider

Der Aufzug ist aus unserem Alltag heute kaum noch wegzudenken. Das Liftfahren musste man in Wien aber erst lernen. Bis heute fühlen sich viele dabei nicht wohl, weshalb mit Tricks gearbeitet wird, erzählt der Stadtforscher Peter Payer, der über die Wiener Aufzüge ein Buch geschrieben hat.

STANDARD: Sie sind ein Aufzugexperte. Grüßt man sich im Aufzug eigentlich?

Payer: Man grüßt sich schon, vielleicht nicht immer verbal. Aber in irgendeiner Form verständigt man sich und teilt dem anderen mit: Ich bin auch da, ich tu dir nichts, und du tust mir nichts, wir sind jetzt zusammen in diesem "Gefängnis".

STANDARD: Der Aufzug ist für uns heute so selbstverständlich, dass wir ihn kaum noch als Transportmittel wahrnehmen. Warum?

Payer: Weil wir nur sehr kurz fahren. Weltweit dauert keine Aufzugfahrt länger als eine Minute. Außerdem sind die Liftkabinen so designt, dass man oft nicht einmal bemerkt, dass man sich bewegt. Wir haben nur selten Sichtkontakt nach außen, hören von draußen keine Geräusche. Wir müssen uns auf die Stockwerksanzeige verlassen, um zu wissen, wo wir sind. Früher gab es im Aufzug noch eine Sitzbank. Denn bis der Liftwart austariert hatte, wo genau man stehen bleibt, ist schon einige Zeit vergangen.

Das Wiener Hotel Bristol verfügt seit 1898 über einen Aufzug, der im Laufe der Jahre erneuert und generalsaniert wurde. Eine Sitzgarnitur zahlt sich in modernen Aufzügen nicht mehr aus.
Foto: Christian Tauss

STANDARD: Die Vorstellung klingt für jene schrecklich, die sich in der engen Kabine nicht recht wohlfühlen.

Payer: Wir mussten uns an die körperliche Nähe in Aufzügen erst gewöhnen. Wir haben gelernt, diese zu verarbeiten, zumindest temporär. Aber wehe, der Lift bleibt stecken. Es geht in Liftkabinen sehr stark darum, Blickkorridore zu finden, bei denen man sich nicht gegenseitig anschauen muss. Man starrt auf die Stockwerksanzeige, aufs Handy, auf einen Fleck. Es gibt auch Untersuchungen darüber, welchen Platz jemand im Aufzug einnimmt, je nachdem, wie viele Menschen schon drinnen sind. Es gibt wenige Orte, wo man sich so nahe kommt wie in einer Liftkabine.

STANDARD: In einem Zugabteil.

Payer: Ja, oder in einer Kutsche, wobei hier der Unterschied ist, dass sich bei längeren Reisen Ablenkungsmedien wie Zeitungen und Bücher eingebürgert haben. Aber auch da mussten wir erst lernen, mit diesem Visavis umzugehen. Das war ein zivilisatorischer Prozess. Wir fahren mit Aufzügen, weil wir bequem sind und manchmal anders auch gar nicht ans Ziel kommen. Daher haben wir gelernt, diese Urängste vom Abstürzen, die alle noch da sind, für die kurzen Momente der Aufzugfahrt zu verdrängen.

Ein stilsanierter Aufzug in der Wiener Leopoldstadt.
Foto: Christian Tauss

STANDARD: Hilft da die Aufzugsmusik?

Payer: Man sagt, dass Hintergrundmusik im Aufzug entstanden ist. Man hört im Aufzug besonders genau hin, weil die Augen keine Reize von außen bekommen. Die Musik soll beruhigend wirken, weil man sich dann weniger auf die Geräusche des Fahrstuhls konzentriert. Damit man nicht in Panik gerät und sich denkt: Da kracht es aber anders.

STANDARD: In Wien gibt es noch sieben Paternoster. Warum sind die so beliebt?

Payer: Sie sind für viele ein Relikt aus der Vergangenheit. In Wien gibt es die ältesten noch in Betrieb befindlichen Paternoster der Welt. Eine Paternosterfahrt hat auch einen Thrill, weil wir bis zu einem gewissen Grad verlernt haben, damit umzugehen.

STANDARD: Der moderne Aufzug gilt als das sicherste Transportmittel der Welt.

Payer: Für Passagiere besteht heute minimalstes Risiko. Das Aufzugfahren kann man heute genießen. Menschen mit Platzangst sind da natürlich ausgenommen. Wenn Unfälle mit Aufzügen passieren, dann zumeist bei Wartung und Reparatur.

Das richtige Aufzugfahren will gelernt sein: Benützungsvorschrift für einen Aufzug in Wien-Leopoldstadt aus dem Jahr 1906.
Foto: Christian Tauss

STANDARD: Wie hat sich der Aufzug etabliert?

Payer: In Wien hat dieser Prozess etwa hundert Jahre gedauert. 1869 wurde der erste moderne Personenaufzug in einem Palais errichtet. Auch Kaiser Franz Joseph ließ später für Katharina Schratt einen Aufzug in ihr Haus einbauen, benutzte ihn aber selber nie. In den 1950er- bzw. 1960er-Jahren ist der Lift zum Standard geworden.

STANDARD: Welche Auswirkungen hatte das auf die Stadt?

Payer: Man kann die Bedeutung des Aufzugs für die moderne Stadt nicht überschätzen. Die Verdichtung der Stadt wurde dadurch erst ermöglicht, Gebäude konnten in die Höhe wachsen. Was die U-Bahn für eine Stadt im Horizontalen, ist der Aufzug im Vertikalen.

STANDARD: Wie wurde nachgerüstet?

Payer: Entweder der Liftschacht kommt in die offene Stiegenspindel, oder er wird außen an das Gebäude appliziert. Auch die Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit wurden so nachgerüstet. Neue Bauten hatten dann ab den 1950er- und 1960er-Jahren standardmäßig einen Lift. Die Nachrüstung ist nach wie vor im Gange, auch wenn Wien verglichen mit Städten wie Berlin eine hohe Aufzugsdichte hat.

STANDARD: Wie hat sich durch Aufzüge die Architektur der Häuser verändert?

Payer: Der Aufzug wurde ins Vestibül integriert, die Treppe hat ihre Vorrangstellung verloren. In modernen Bauten ist die Liftlobby repräsentativer als das Stiegenhaus.

Die Aufzüge im DC Tower, dem höchsten Gebäude des Landes, in Wien- Donaustadt.
Foto: Christian Tauss

STANDARD: Wie schaut die Zukunft aus?

Payer: Aufzüge werden bei hohen Gebäuden noch schneller werden. Zudem wird die Aufzugskabine kommerzialisiert und sinnlicher gestaltet werden. Da wird es Displays mit Werbeeinschaltungen und News geben, aber auch Musik und Beduftung.

STANDARD: Und wie wird sich die Digitalisierung auf die Auszüge auswirken?

Payer: Die Aufzüge werden vernetzt sein – nicht nur mit der Zentrale, wie sie es heute schon sind. Sondern auch mit den Nutzern. Vielleicht mittels App, die uns sagt, wie wir am schnellsten ins Büro kommen, wenn wir in der Früh das Gebäude betreten. Vielleicht steht dann schon der Aufzug für uns bereit. Es gibt aber noch offene Fragen beim Datenschutz – etwa, wer die erhobenen Daten bekommt und was mit ihnen geschieht. (20.5.2018)