Matteo Salvini (links) und Luigi Di Maio (rechts) haben sich auf ein Koalitionspapier geeinigt, das zum Teil realitätsferne Forderungen beinhaltet.

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"Ich bin richtig glücklich", erklärte der Chef der Fünf-Sterne-Protestbewegung (M5S), Luigi Di Maio, nachdem die Verhandlungen für das Koalitionspapier am Freitag endlich abgeschlossen werden konnten. Noch am gleichen Tag stimmten mehr als 90 Prozent der M5S-Aktivisten im Internet für das Regierungsprogramm ab. Die Mitglieder des Regierungspartners Lega können am Sonntag an Ständen der Partei ihre Meinung kundtun. Am Montag werden Di Maio und Lega-Chef Matteo Salvini Staatspräsident Sergio Mattarella ihre Aufwartung machen und ihm – wahrscheinlich – den Namen des neuen Premiers vorschlagen.

"Vertrag für eine Regierung der Veränderung" lautet der Titel des 58 Seiten umfassenden Koalitionspapiers. Das ist sicher nicht übertrieben: Falls die neue Regierung aus der postideologischen Protestbewegung M5S und der rechtsextremen Lega tatsächlich zustande kommt, wird man sich in Brüssel auf größere Umwälzungen vorbereiten müssen. Das ganze Regierungsprogramm belegt vor allem eines: Die künftige italienische Regierung stellt praktisch sämtliche Regeln und Verpflichtungen des gemeinsamen Europa infrage – und ist auch bereit, diese zu verletzen. Die Ablehnung der "Euro-Bürokraten" in Brüssel ist der Kitt, der die beiden unterschiedlichen Partner zusammenhält.

Schuldenerlass und Euro-Austritt gestrichen

Einen Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Jahren auf Europa zukommen könnte, hatte Brüssel schon Anfang der Woche erhalten. In einer Fassung des Koalitionsvertrags vom Montag fand sich die Forderung nach einem Schuldenerlass in der Höhe von 250 Milliarden Euro durch die EZB. Das ist fast genau so viel, wie alle drei Rettungspakete für Griechenland insgesamt gekostet hatten. Gleichzeitig war von der Vorbereitung eines Referendums über den Austritt Italiens aus der Gemeinschaftswährung die Rede. Die beiden Punkte hatten genügt, um den Euro auf den tiefsten Stand seit Dezember fallen zu lassen und die Mailänder Börse auf Talfahrt zu schicken. Der Schuldenerlass und der Euro-Austritt sind inzwischen aus dem Programm gestrichen worden.

Doch die eigentliche, konkrete Gefahr für Europa und seine Einheitswährung lauert ohnehin anderswo – nämlich bei einer unkontrollierten, massiven Neuverschuldung Italiens, das bereits heute 2,3 Billionen Euro Schulden mit sich herumträgt. Nach wie vor im Koalitionspapier enthalten sind nämlich eine drastische Steuersenkung auf zwei Steuersätze von 15 und 20 Prozent sowie die Einführung eines Grundeinkommens von 780 Euro pro Monat, eine Senkung des Pensionsantrittsalters und eine Erhöhung der Mindestpensionen. Der frühere IWF-Ökonom und Sparkommissar der Regierung Renzi Carlo Coltarelli hat ausgerechnet, dass diese Pläne ein Loch von 100 Milliarden Euro in die Staatskasse reißen würden. Würden sie umgesetzt, würde diese zur schweren Belastung für den Euro – eine neue Finanzkrise scheint nicht ausgeschlossen.

Erhöhung des Haushaltsdefizits

Im Koalitionspapier heißt es dazu lakonisch, dass die Maßnahmen mit einer "angemessenen und begrenzten Neuverschuldung" finanziert werden müssten. Wirklich angemessen und begrenzt wäre eine jährliche Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro freilich nicht: Das Haushaltsdefizit Italiens würde sich dadurch von heute 1,5 Prozent auf über sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) erhöhen. Laut den Maastricht-Verträgen beträgt die Obergrenze jedoch drei Prozent. Aber das Korsett der Maastricht-Verträge und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU ist den neuen Regierungspartnern in Rom ohnehin zu eng: Diese müssten laut Koalitionspapier revidiert werden.

Eine radikale Kursänderung versprechen die Koalitionäre auch in der Migrationspolitik. Das entsprechende Kapitel trägt die Handschrift von Lega-Chef Salvini, der im Wahlkampf versprochen hatte, die Grenzen dichtzumachen und die rund 500.000 sich illegal im Land aufhaltenden Migranten "einen um den anderen zurückzuspedieren". Ein besonderer Dorn im Auge ist der künftigen Regierung das Dublin-Abkommen, das besagt, dass Flüchtlinge in jenem Land ihr Asylgesuch stellen müssen, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten. Dieses müsse "überwunden werden". Eine weitere Forderung: Für die auf dem Seeweg in Italien ankommenden Flüchtlinge müsste eine "obligatorische und automatische Umverteilung auf alle EU-Länder" eingeführt werden.

Lager für 500.000 Menschen

Mehr oder weniger gleiche Forderungen hatten freilich schon die Vorgängerregierungen gestellt – mit sehr mäßigem Erfolg. Fast noch illusorischer wirken die Pläne, die illegal Einreisende in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Im Koalitionspapier heißt es, dass die sich illegal in Italien aufhaltenden Menschen in geschlossenen Strukturen untergebracht werden sollen, in denen sie bis zu ihrer Abschiebung bleiben müssten. Italien müsste also neue Lager für eine halbe Million Menschen bauen. Hinzu kommt, dass Italien derzeit nur mit vier Herkunftsländern – Tunesien, Ägypten, Marokko und Nigeria – über Rücknahmeabkommen verfügt. Von den internierten Menschen könnte nur ein kleiner Teil tatsächlich in ihre Heimat abgeschoben werden.

Angesichts der zahlreichen abenteuerlichen und zum Teil auch realitätsfernen Forderungen ist der Koalitionsvertrag von M5S und Lega auch schon als "Buch der Träume" bezeichnet worden. Hinzu kommt: Bei der Ernennung des künftigen Regierungschefs und der Minister hat Staatspräsident Sergio Mattarella das letzte Wort. Das Staatsoberhaupt wird dafür sorgen, dass im künftigen Kabinett ausreichend Sachverstand vorhanden sein wird, um das Schlimmste vielleicht noch verhindern zu können. Aber eine Garantie dafür gibt es nicht – und so könnte aus dem Koalitionsvertrag auch leicht ein Buch der Albträume werden. (Dominik Straub aus Rom, 18.5.2018)