Quietschbunt legt Martina Gredler die österreichische Erstaufführung von "Der große Marsch" an. Der Kapitalismus wird zum Sterben in die "linke Ecke" eines Boxrings geschickt.

Foto: Georg Soulek/Burgtheater

Wien – Der Autor trägt Narrenschuhe. Um für seine Sache einzutreten, ist Wolfram Lotz (gespielt von Stefan Wieland) selbst auf die Bühne gekommen. "Bei allem Klamauk, den man macht, gibt es etwas, das zu tun hat mit Schmerz und Traurigkeit", sagt er. Die Schuhe mit den aufgebogenen Spitzen sind also ein Statement.

Derer folgen viele weitere. Der große Marsch (2010) handelt von den Nöten des Stückeschreibers im Betrieb des politischen Theaters. Es wird von ihm gefordert, komplexe Verhältnisse in kompakte Szenen zu quetschen. Aber wie? Die Theater wollen bei Auftragsarbeiten einen aktuellen Bezug – doch Aktualität vergeht! Hetzt man so nicht immer nur hinterher? Und am Ende steht noch das Problem, dass Botschaften vom Publikum völlig missverstanden werden.

So etwas könnte trocken werden. Wird es bei Lotz aber nicht. Der 1981 geborene Autor ist vielfach belobigt. 2014 wurde am Akademietheater Die lächerliche Finsternis uraufgeführt, für das er einen Nestroy erhielt. Regisseur Dusan David Parizeks Inszenierung sparte damals nicht mit Exzentrik, das tut Martina Gredlers auch nicht.

In Kurzszenen wuseln 21 Figuren auf der Bühne des Burgtheater-Kasinos. Die Ausstattung (Anna-Luisa Vieregge, Claudia Vallant) setzt auf manch berückenden Einfall. Zum Beispiel beim ALS-kranken Dichter: Er kann nur mehr seine Augen bewegen, um einen Sprachcomputer zu steuern. Also wird er ganz auf die Glotzerchen reduziert. Tiefblau und übergroß schlagen sie auf der Bühne die Lider auf und nieder.

"Müssen etwas herausholen"

Acht Darsteller, sechs davon Studierende der Wiener MUK, teilen sich die Rollen. Allen voran ist Lukas Weiss zu entdecken – er hat einen tollen Duktus, eigenständige Gesten. Als cholerischer Regisseur tobt er auf einem Tretauto in einem wahren Gewitter aus Effekten herum und schreit: "Das Theater muss etwas herausholen aus dem Stück. Wir müssen es rausholen!" Das Wort reicht ihm nicht. Kann es sein, dass Wolfram Lotz manchmal mit der Inszenierung seiner eigenen Stücke hadert?

Gredlers Nummernrevue spielt mit Dissonanzen (schiefen Fan faren), Buntheit und Übertreibung. Auch mit Sprachauffälligkeiten: Es sächselt, berlinert und westösterreichert. Nur Effekte? Jein. Man tobt sich aus, wirkt hie und da nicht ganz geschliffen.

Eine als "Schauspielerin" betitelte Figur mit belehrendem, anklagendem Tonfall (sie fungiert als Metapher für politisches Theater) streitet ständig mit den Menschen, auf die sie trifft. Doch was bleibt ihr übrig, wenn nur das Theater "die einzig kritische Institution" in der Gesellschaft ist?

Lotz nimmt den Betrieb aufs Korn. Die Selbstüberbeanspruchung des Theaters als moralische, politische Anstalt. Die eigene Heroisierung darob. Ganz entkommt die Aufführung dem Kritisierten aber nicht: Statt Gemüsebratlingen (im Original) werden Punschkrapfen im Publikum verteilt. Außen glänzend türkis, innen richtig schön braun. (Michael Wurmitzer, 18.5.2018)