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"Der Piaggio juchzt und stöhnt, er ist ein Lebewesen", erklärt Roman Signer in Peter Liechtis Film "Signers Koffer" (1995). Das Gefährt biete die ideale Geschwindigkeit, die Landschaft zu durchmessen.

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Signer macht sich häufig zum Bestandteil seiner "Zeitskulpturen". Im Bild: die Aktion "Schwarzes Tuch" (1994).

Foto: Stefan Rohner; Courtesy Galerie Martin Janda, Wien

Roman Signer: "Schusslinie" (1999)

Foto: Roman Signer und Häusler Contemporary München | Zürich

Wir befinden uns vor dem Kurhaus der Schweizer Ortschaft Weissbad. Auf der Straße macht sich ein Mann an einer Sprengstoffzündsteuerung zu schaffen. Er gibt ein Handzeichen, als kündige er die Zerstörung des Gebäudes an. Auf den entscheidenden Knopfdruck hin stürzt jedoch keineswegs das Badehaus ein. Stattdessen schießen synchron aus den Fenstern: sieben hölzerne Sitzhocker, quasi im Formationsflug. Sie zersplittern nach einigen Metern am Asphalt.

Wer, wie, was, wieso, warum? Nun, so läuft eine Aktion ab, die der Schweizer Künstler Roman Signer in den 1990er-Jahren realisierte. Sie ist in Peter Liechtis wunderbarem Film Signers Koffer zu sehen. In Slowmotion. Langsam genug, um spürbar zu machen, dass den Hockern etwas von tragischen Vögeln anhaftet. Langsam genug, dass man die Anmut dieser Zerstörungsaktion bestaunen kann. Wie die Trümmer der Hocker zum Liegen kommen, ist Zufall, und doch will man sie als Schriftzeichen lesen.

"Signers Koffer" (1995) – Trailer
absolutMEDIENBerlin

Die Tragik des Helikopters

Das dürfen Betrachter auch, Roman Signer wird niemanden daran hindern. Worauf es ihm bei Arbeiten wie diesen ankommt, ist jedoch etwas anderes: den Versuch gemacht zu haben. In welchen Situationen war unsere Welt mit all ihren Naturgesetzen und in all den Jahrtausenden noch nicht – und welche Poesie ist zu gewinnen, wenn man sie, die Welt, in diese Situationen bringt? So in etwa stellt man sich die Forschungsfragen vor, denen Signer nachgeht. Wie sieht es aus, wenn man ein langes rotes Band per Rakete über einen rauchenden Vulkankrater hinwegschießt? Welche Tragik wohnt einem ferngesteuerten Spielzeughelikopter inne, den man im Inneren einer kleinen geschlossenen Kiste zu fliegen versucht?

Seit den 1970er-Jahren hat Signer unzählige Aktionen realisiert. Er hat dabei eine gänzlich eigensinnige bildhauerische Sprache entwickelt, in der Alltagsgegenständen – Stiefeln, Kübeln oder Luftballons – ungeahnte Poesie entlockt wird. Spätestens seit Anfang der Nullerjahre – 1997 war er bei den Skulpturprojekten Münster, 1999 auf der Biennale von Venedig – zählt Signer zu den wichtigsten europäischen Künstlern der Gegenwart. Dieses Jahr wird er 80, es gibt also vermehrt Gelegenheit, sein Schaffen kennenzulernen. Das Kunstmuseum St. Gallen etwa richtet eine Retrospektive aus.

Klein ist der Mensch, groß ist die Welt. In dieser Aktion verbreitet Roman Signer sein Schnarchen im Campingzelt per Lautsprecher in der Weite der isländischen Landschaft.
lyplo

Die Schönheit der Dinge, wenn sie kippen

Ebendort lebt Signer seit 1972. Geboren 1938 in Appenzell, begann er zunächst eine Bildhauerausbildung. Schon früh stellte er fest, dass in den Ideen seine Stärke lag. Die wegweisende Ausstellung Wenn Attitüden Form werden, kuratiert von Harald Szeemann, brachte ihm Kunst nahe, die auf Prozesse statt Resultate setzte. Signer verstand diese neue Kunstsprache ganz intuitiv, wie er sagt. Skulpturen, die Zeit und Vergänglichkeit einbeziehen, hatten es ihm angetan.

Tatsächlich werden Signers Skulpturen oft "Zeitskulpturen" genannt. Sie folgen vielfach einer genau bestimmten, strengen Bauweise: Da ist eine Ausgangssituation, da ist ein Kipppunkt, da ist ein Relikt. Ein Mann setzt sich vor eine Staffelei, hält den Pinsel knapp vor die Leinwand; hinter ihm explodiert ein Sprengkörper; der Mann erschrickt und setzt einen unkontrollierbaren Patzer auf die Leinwand: Punkt heißt diese Arbeit aus dem Jahr 2006.

Roman Signer: "Punkt" (2006)
Cleveland Museum of Art

Lachen? Darf man, muss man aber nicht

Man kann dem Video Humor nachsagen. Als Witz über die künstlerische "Eingebung", die hier per Knalleffekt kommt, mag man es lesen. Humoristische Anmutung haben viele Arbeiten Signers. Sie rührt etwa von der Langsamkeit her, mit der Signer auf Momente hinplant, in denen alles sehr schnell und unberechenbar wird. Sie rührt vom Umstand her, wie leichtfüßig hier die erhabene Natur mit dem Banalen kontrastiert wird. Oder nehmen wir ein Tischchen, das umpurzelt, weil sich unter ihm ein Ballon aufbläht und die Tischbeine vom Boden hebt. Das hat etwas von Slapstick.

Was Signers Arbeiten indes so bestrickend macht, ist, dass sie es nicht krampfhaft auf Pointen anlegen. Das Lachen darf sich einstellen, aber wenn's nicht ist, ist's nicht. Nein, im Vordergrund steht das schlichte Wissen-Wollen des Künstlers, eine in sich ruhende, stille Betrachtung der Welt – auch und gerade dort, wo es ab und zu sehr knallt. In dieser Stoik liegt für eine kurzatmige, auf den schnellen Effekt geeichte Welt eine wertvolle Botschaft verborgen. (Roman Gerold, 19.5.2018)

Roman Signer: "Aktion mit 48 Kisten", aufgeführt 1993 in Graz
Foto: Stefan Rohner; Courtesy Galerie Martin Janda, Wien