Kalvarienbergkirche mit römischen Ziegelfehlbränden.

Foto: Stadtarchäologie Wien

Die römischen Ziegelöfen.

Foto: Stadtarchäologie Wien

Bestattung eines Mannes im Ziegelofen.

Foto: Stadtarchäologie Wien
Foto: Stadtarchäologie Wien

Bestattung einer Frau vor dem Ziegelofen.

Foto: Stadtarchäologie Wien

Schmuck und Keramik aus dem Frauengrab.

Fotos: Bendeguz Tobias, Mario Mosser; alles andere: Stadtarchäologie Wien

Beigaben aus dem Männergrab.

Fotos: Bendeguz Tobias, Mario Mosser; alles andere: Stadtarchäologie Wien

Ein Archäologe, der vor Beginn einer Ausgrabung – vor allem ohne auf technische Hilfsmittel zurückzugreifen – eifrig prognostiziert und recht behält, ist trotz vergleichbarer Trefferquote so wenig präkognitiv wie das Orakel von Delphi. Die erfolgreiche archäologische Prognose mag eine beeindruckende Kunst sein, es handelt sich aber weder um zynische Zufallstreffer noch um Hexerei oder Taschenspielertricks, und im Gegensatz zu besagtem Orakel sollte der Erfolg auch nicht in der Doppeldeutigkeit der Aussage liegen. Nichts anderes als das akribische und routinierte Sammeln, Verwalten und Verknüpfen von Informationen liegt solchen Vorhersagen zugrunde. Vor allem bei guter Datenlage kann das oft zu einer recht präzisen Vorstellung davon führen, was im Boden zu erwarten ist.

Als angesichts einer Ausgrabung in der Steinergasse im Wiener Bezirk Hernals Reste der römischen Ziegelproduktion "erwartet" wurden, stützte man sich dabei auf mehr als ein Jahrhundert Vorarbeiten und Beobachtungen. Die Lage der römischen Ziegelproduktion des 2. und 3. Jahrhunderts in dieser Gegend in der Nähe der auch in der Spätantike noch genutzten Straße von Vindobona nach Tulln/Comagenis war schon lange kein Geheimnis mehr. Dass der Boden zwischen Bartholomäusplatz und Steinergasse reich an römischem Ziegelmaterial war und ist, davon kann man sich leicht selbst überzeugen.

In die Natursteinmauer der Kalvarienbergkirche (siehe Foto) sind beachtlich viele römische Ziegelfehlbrände eingebaut. Im Verlauf der Ausgrabung ließen sich tatsächlich – erfreulich, aber eben nicht überraschend – zwei römische Ziegelöfen aus dem Erdreich schälen. Damit waren wir dann aber auch schon am Ende der selbstzufrieden prognostizierten Umstände angekommen. Was dann folgte, war eine handfeste Überraschung.

Der Tote im Ofen und weitere Bestattungen

In einem der Ziegelöfen fand sich das Skelett eines jungen Mannes, in der Bediengrube desselben Ofens die Bestattung einer Frau. Ein weiteres Grab kann aufgrund von sehr spärlichen Skelettresten angenommen werden. Bei der Frau fanden sich Ohrringe und eine Kette aus unterschiedlichen Glasperlen – sogar ein Fragment eines römischen Gefäßes war dazu gefädelt worden. Ein eher schlichter Keramiktopf vervollständigte das Ensemble. Das Skelett des jungen Mannes im Ofen selbst war in sehr schlechtem Zustand, die Knochen oberhalb des Beckens fast vergangen. Reste der Metallbeschläge eines hölzernen Eimers und wiederum ein kleiner Topf waren die einzigen Ausstattungsdetails. Zwischen den stark zerstörten Knochen des Oberkörpers wurden Reste eines ebenso schlecht erhaltenen Textilgewebes – Reste der Kleidung oder eines "Leichentuches" – festgestellt.

Die Fragen nach dem "Wer, Wann und Warum?"

Angaben über die zeitliche Einordnung dieser Bestattungen sind noch am einfachsten zu machen. Die Fundstücke weisen auf den Übergang vom 8. zum 9. Jahrhundert hin – "spätawarenzeitlich" sagt man da auch gern. Nach dem "Wer", also der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, zu fragen ist so sinnvoll wie die meisten ethnischen Anfragen dieser Art, zumal die Trachtbestandteile und Beigaben, die hier vorliegen, in unterschiedliche Himmelsrichtungen gleichzeitig und somit in gar keine zeigen. Die Frage nach dem Selbstverständnis dieser Menschen zu einer Zeit und an einem Ort, wo keinerlei schriftliche Quellen für hilfreiche Wissenserweiterung sorgen, ist ohnehin obsolet.

Funde aus dem 8. bzw. 9. Jahrhundert sind derzeit noch einigermaßen selten im Wiener Stadtgebiet. Ob es nun an der Tücke des (Siedlungs-)Objekts – einfache, sehr vergängliche Bauweise, vergleichsweise kleine Fundmengen – oder an den nachfolgenden Jahrhunderten mit zunehmender Bautätigkeit und deren Einflussnahme liegt: Befunde aus dieser Zeit fehlen zumeist vollkommen, und Funde sind eine Seltenheit. Einzelne Keramikfragmente, die immer wieder und auch in Hernals zutage treten, können nicht einmal als "Scherbenschleier" bezeichnet werden, sondern haben den Charakter von "Punktlandungen": Als mehrfach befundlose, mehrfach verlagerte Kleinstfragmente bezeugen sie nicht mehr als (flüchtige?) Anwesenheit.

Kommen wir zu dem "Warum". Bestattungsszenarien, die sich aufgrund ihrer Einzigartigkeit von der Norm abheben, werden gern in die Kategorie der "Sonderbestattungen" geschoben. Im nächsten Atemzug werden oft religiöse Gründe und vor allem der allzeit beliebte Kandidat "Aberglauben" bemüht. Immerhin hatte man der Frau vor dem Ofen einen Stein auf die Brust gelegt und einen weiteren kleinen Stein in eine Augenhöhle gedrückt – den jungen Mann könnte man aus Gründen der sicheren Verwahrung in die Ofenreste gelegt haben. Angst vor Wiedergängern? Das soll es gegeben haben. Über die Zeiten und Kulturen hinweg wurden immer wieder auffällige Bestattungsszenarien in diese Richtung interpretiert. Vorsicht ist hier aber vor allem deswegen geboten, weil wir über die generellen Glaubensvorstellungen dieser Leute nichts wissen – wie sollen wir also seriöse Thesen über deren Jenseitsvorstellungen oder gar die Angst vor unwillkommenen Wiederkehrern aufstellen?

Der Umgang mit römischen Überresten

Auch wenn es für die Bestattung im Ziegelofen keinen direkten Vergleich gibt, passt sie doch in ein größeres Schema. Bald nach Abzug der Römer im 5. Jahrhundert und dem beginnenden Ruin ihres baulichen Erbes entstand eine Tendenz, in diesen römischen Ruinen zwar nicht unbedingt zu siedeln, aber zu bestatten. Bemerkenswert daran ist zweierlei. Zum einen hielt diese Vorgehensweise im Wiener Raum vom 6. bis circa ins 10. Jahrhundert an, und zum anderen vereinte sie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit wohl auch recht unterschiedlichen Glaubensvorstellungen in zumindest einem Punkt: einer "interessanten Umgangsweise" mit den römischen Überresten.

Was auch immer man in diesen verfallenden Bauten sah – eine gewisse Anziehungskraft übten sie aus. Immerhin konnte sich die menschliche Fantasie nach dem Ende der römischen Präsenz in unseren Breiten das erste Mal mit einem bis dato noch nie dagewesenen Phänomen auseinandersetzen: Eine beachtliche Ruinenlandschaft lud zum praktischen, siedlungstechnischen Nutzen ebenso ein wie als Projektionsfläche für Schemen aus weniger logikerhellten Bereichen des menschlichen Innenlebens. Für einige Jahrhunderte hatten die Schemen dabei die Nase vorn. (Ingeborg Gaisbauer, 24.5.2018)