Wenn Trucks auf der bayerischen A9 dicht hintereinanderfahren, ist das kein Versehen, sondern ein praktischer Test des "Platooning".

Foto: MAN T&B-E

So funktioniert das "Platooning": Das Führungsfahrzeug gibt die Richtung vor, das Folgefahrzeug folgt ihm und bleibt mittels WLAN und diverser Sensoren in Kontakt.

Foto: MAN T&B-E

Der Anblick ist womöglich für den einen oder anderen Verkehrsteilnehmer befremdlich: Relativ dicht hintereinander rollen zwei oder drei Lastwagen über die Autobahn, schnurgerade immer im selben Abstand, und die Fahrer tragen seltsame an Badekappen erinnernde Mützen, aus denen Drähte ragen. Solche Szenen könnten sich momentan auf der Autobahn A9 zwischen München und Nürnberg abspielen, wo der Lkw-Hersteller MAN und der Logistikdienstleister DB Schenker seit April "Platooning" testen.

Bei Platooning denken möglicherweise einige an den Antikriegsfilm von Oliver Stone aus dem Jahr 1986. Tatsächlich stammt der Begriff aus dem militärischen Sprachgebrauch: "Platoon" heißt Zug und meint eine Einheit von Soldaten.

Im Zusammenhang mit Gütertransport könnte man ihn aber besser mit Konvoi übersetzen, einem digital vernetzten Zug von Trucks, die per WLAN miteinander verbunden sind und in geringem Abstand von zwölf bis 15 Metern (anstatt der sonst vorgeschriebenen 50 Meter) hintereinander herfahren.

Assistenzsysteme

Dabei kommen Fahrassistenz- und Steuersysteme – Radar-, Lasersensoren und Kameras – zum Einsatz. Das führende Fahrzeug gibt während der Fahrt die Geschwindigkeit und die Fahrtrichtung vor, in den Lkws dahinter steigt der Computer dementsprechend aufs Gas und bremst, der Lenker ist gleichsam Beifahrer.

Die Idee dahinter: Durch das so erzeugte Windschattenfahren sollen sich bis zu zehn Prozent Kraftstoff für den gesamten Platoon einsparen lassen, was sich wiederum positiv auf den CO2-Ausstoß auswirkt. Das macht die Technologie für die Logistiker interessant, ist Treibstoff doch ein maßgeblicher Kostenfaktor für die Transportunternehmer.

Dass Platooning technisch funktioniert, habe man in verschiedenen Vorgängerprojekten wie 2016 in der European Truck Platooning Challenge bereits bewiesen, sagt Frederik Zohm, Vorstand der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei MAN. Damals haben sechs Hersteller bei einer Sternfahrt mehrere Lkw-Gespanne quer durch Europa nach Rotterdam geschickt. "Die Anpassung dieser Technologie an reale Alltagsbedingungen der Logistik ist die Herausforderung, die wir jetzt angehen", sagt Zohm.

Fahrer soll entlastet werden

Die Hersteller erwarten sich eine Entschärfung der Unfallgefahr, weil die Hauptursache für Zusammenstöße, nämlich menschliches Versagen, dadurch ausgeschaltet wird. So argumentiert zumindest Daimler. Das Unternehmen testet seit September 2017 automatisierte Kolonnenfahrten von Sattelschleppern in den USA, genauer gesagt in Oregon. "Platooning ist nicht dazu da, den Fahrer zu ersetzen, sondern ihn auf langen Fahrten zu entlasten", sagt der Chef von Daimler Trucks Nordamerika, Roger Nielsen. Gleichzeitig soll damit auch die Verkehrsinfrastruktur besser genutzt werden.

Der Fahrer wird auch auf der rund 140 Kilometer langen und mittels Sondergenehmigung freigegebenen Strecke auf der A9 im Mittelpunkt stehen. Denn zum ersten Mal werden über mehrere Monate hinweg im realen Straßenverkehr keine Testfahrer, sondern Berufskraftfahrer von DB Schenker im Einsatz sein. In den ersten Monaten noch ohne Ladung, später dann mit.

Deren Erfahrungen, Einschätzungen und Bewertungen stehen im Fokus der Arbeit der Frankfurter Hochschule Fresenius. Sie ist als dritter Kooperationspartner mit an Bord und wird die Fahrten wissenschaftlich begleiten. "Wir möchten herausfinden, welche Auswirkungen die neue Technologie auf die Fahrer hat. Die Schwerpunkte der Studie liegen auf der neurophysiologischen und psychosozialen Ebene", erläutert Christian T. Haas, Leiter des Instituts für komplexe Gesundheitsforschung.

Womit wir bei den anfangs erwähnten Mützen mit den Drähten wären, die die Fahrer zu diesem Forschungszweck tragen: Sie zeichnen die Gehirnströme der Lkw-Lenker auf, Spezialbrillen erfassen, wie sich die Augen des Fahrers bewegen. Interessant ist dabei, wie sich das Verhalten des Fahrers im vordersten Lkw von jenem des Fahrers oder der Fahrer in den hinteren Trucks unterscheidet. Schließlich können Letztere nicht viel mehr tun, als sich quasi "treiben" zu lassen.

Sie müssen allerdings rasch handeln, wenn der Platoon entkoppelt werden muss, wenn sich zum Beispiel ein Pkw bei einer Autobahnausfahrt zwischen die Brummis drängt oder eine Baustelle auftaucht. Dann müssen die Fahrer die Kontrolle übernehmen, den Abstand vergrößern, um später wieder aufzuschließen.

Zweifel und Hürden

Darin sehen Kritiker auch den Pferdefuß des Konzepts. Denn während es vielleicht auf den weiten, menschenleeren Highways in den USA logisch erscheint, mehrere Trucks zu einem Konvoi zusammenzuschließen, muss dies auf vollen deutschen (oder österreichischen) Autobahnen nicht ganz sinnvoll zu sein. Es wird also spannend sein zu sehen, zu welchem Ergebnis Wissenschafter, Hersteller und Logistiker am Ende der Testperiode kommen.

Davon unabhängig bleiben noch Faktoren wie rechtliche Rahmenbedingungen oder Versicherungsfragen zu berücksichtigen. Sollten diese Hürden aus dem Weg geräumt sein, müssten sich noch die Hersteller zu guter Letzt auf einen gemeinsamen Platooning-Standard einigen – denn zurzeit sind die einzelnen Systeme nur bedingt miteinander kompatibel. (Markus Böhm, 25.5.2018)