Wien – Moderne, multimodale Schmerztherapie muss in Österreich zum Versorgungsstandard werden. Zu diesem Fazit gelangten am Dienstag die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG), die Palliativgesellschaft und die Ärztekammer im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien. Als Vorbild soll das in Deutschland angewendete System dienen, hieß es.

Rund 1,8 Millionen Menschen sind in Österreich von chronischen Schmerzen betroffen. Bei 350.000 bis 400.000 von ihnen haben sich diese als eigenes Krankheitsbild, der Schmerzkrankheit, verselbstständigt. Um eine flächendeckende Versorgung dieser Patienten ist es aber schlecht bestellt. Als mangelhaft auf allen Versorgungsebenen stufte etwa Gabriele Grögl, Präsidentin der ÖSG, den Status Quo der Schmerzmedizin ein.

"Von einer flächendeckenden, leitliniengerechten Versorgung aller Schmerzpatienten ist Österreich noch meilenweit entfernt", kritisierte auch Rudolf Likar, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin in Klagenfurt. "Multimodale Schmerzbehandlung muss alle körperlichen, psychischen und psychosozialen Faktoren identifizieren und bei der Behandlung berücksichtigen", so der Experte. Positive Evaluierungsergebnisse aus dem Klagenfurter Schmerzzentrum geben ihm recht. Die kombinierte Behandlung sei deutlich effektiver als jedes einzeln angewandte Therapieverfahren, betonte der Anästhesist und Intensivmediziner. Eine weitere Schwierigkeit: Chronische Schmerzen gelten in Österreich nicht als eigenständiges Krankheitsbild – im Unterschied zu Deutschland, wo damit eine Leistungsabrechnung mit den Kassen gegeben ist.

Hohe Folgekosten

Es fehle hierzulande außerdem an einschlägigen universitären Ausbildungen sowie an Netzwerken und Kooperationsmöglichkeiten zwischen Allgemeinmedizinern, Fachärzten und nichtärztlichen Berufsgruppen, sagte Grögl. Die Konsequenz seien monatelange Wartezeiten für Patienten bei Spezialisten. Die Zahl der Schmerzambulanzen sei nach Schließungen in den vergangenen Jahren auf 48 gesunken. Diese seien selten täglich geöffnet. Das bedeute wiederum lange Wartezeiten auf Termine – derzeit rund drei bis vier Monate. Zu befürchten sei, dass es in Zukunft eher weniger als mehr Ambulanzen werden, meinte Grögl. Beim Akutschmerzdienst sei die Versorgung sogar "katastrophal", denn einen solchen gebe es in den wenigsten Krankenhäusern. Spezialisierte interdisziplinäre Schmerzzentren seien ebenfalls eine Seltenheit.

Investitionen in diesem Bereich würden sich auch ökonomisch lohnen, sind chronische Schmerzen doch ein Hauptgrund für Arbeitsausfälle. Es seien vor allem die Folgekosten einer unzureichenden Behandlung, die teuer kämen. Die Kosten für Krankenstandstage wegen chronischer Rückenschmerzen betragen jährlich rund 400 Millionen Euro, rechnete Likar vor. "Die direkten Kosten infolge einer Schmerz-Chronifizierung schlagen mit 1,4 bis 1,8 Milliarden Euro zu Buche", die indirekten Kosten würden sich in Form zahlreicher Frühpensionierungen zeigen.

Der Bedarf ist nicht nur vorhanden, sondern wächst: 2030 werden über eine Million Menschen in Österreich über 75 Jahre alt sein, so Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres. "Das österreichische Gesundheitssystem muss sich auf diese Entwicklung einstellen und die schmerzmedizinische Versorgung deutlich aufwerten. Wenn man rechtzeitig hier ansetzt, kann man die Chronifizierung verhindern, und damit Leid, Arbeitsausfälle und Frühpensionen." Die Zuständigkeiten würden derzeit aber "herumgeschoben" werden. "Die Politik soll hier entgegensteuern", forderte Szekeres. (APA, 22.5.2018)