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Kommen Bakterien durch Risse in der Darmwand in den Blutstrom, kann das zu Leukämie führen. Der Krebs zeigt sich unter anderem in deformierten Blutzellen (Bild).

Foto: picturedesk / Science Photo Library

Mit Ausnahme von wenigen Vertretern, wie zum Beispiel den krankheitserregenden Salmonella-Bakterien, sind die meisten Mikroorganismen gutartig und helfen uns bei verschiedenen Körperfunktionen wie Verdauung und Immunabwehr. Das funktioniert so lange gut, bis sie an einen Ort gelangen, an dem sie eigentlich nicht vorgesehen sind.

Eine soeben erschienene Studie im Journal "Nature" beschreibt, wie eine solche Ortsveränderung zu bestimmten Erkrankungen führen kann. Die Forscher von der University of Chicago, allen voran die Österreicher Marlies Meisel und Reinhard Hinterleitner, fanden heraus, dass Bakterien bei Mäusen zu Vorstufen von Leukämie führten – jedoch nur, wenn gewisse Bedingungen vorherrschten.

Eine solche Voraussetzung ist die Mutation des des sogenannten Tet-2-Gens, das an der Entwicklung blutbildender Stammzellen beteiligt ist. Es handelt sich hier aber nicht um eine vererbte Anomalie, sondern um einen Defekt, der im Alter erworben wird. "Etwa 15 Prozent der Menschen, die über 60 sind, entwickeln diese Tet-2-Mutationen", sagt Marlies Meisel. Der Prozess, wie und wieso das passiert, war bis jetzt noch nicht bekannt.

Fakt ist jedoch, dass die Mutation und das damit verbundene rasche Anwachsen der blutbildenden Stammzellen ein zehnmal höheres Risiko darstellen, Blutkrebs zu bekommen – eine sogenannte prä-leukämisch myeloproliferative Störung, kurz PMP. "PMP tritt nur bei einem Teil der Tet-2-defizienten Tiere auf, deswegen haben wir angenommen, dass es noch andere Auslöser geben muss", sagt die aus Niederösterreich stammende Meisel.

Durchlässige Darmwand

Schon Jahre bevor sich Krebs im Körper entwickelt, passieren Vorgänge im Hintergrund. Einer davon könnte die erhöhte Darmdurchlässigkeit sein – was die Wissenschafter im Zusammenhang mit PMP untersuchen. Durch gewisse Brüche in der Darmwand, die im gesunden Zustand als eine Art Grenze zwischen dem Mikrobiom des Darms und dem Blutstrom dient, können die Bakterien in den Blutstrom kommen.

Die Brüche entstehen beispielsweise durch Entzündungen im Magen-Darm-Trakt. Im Blut angekommen, lösen die Mikroorganismen einen Anstieg des Moleküls Interleukin-6 aus, das für die Entwicklung von PMP bei Mäusen mit mutierter Tet-2-Expression kritisch ist.

Meisel, die ebenso wie Kollege Hinterleitner ihr Doktorat beim Zellgenetiker Gottfried Baier im Kolleg Molekulare Zellbiologie und Onkologie an der Medizinischen Universität Innsbruck abschloss, spricht von klaren Resultaten: "Wir haben die kranken Mäuse mit Antibiotika behandelt, um die Darmbakterien abzutöten, und zeigten, dass sie danach kein PMP mehr hatten. Sobald wir die Antibiotikabehandlung stoppten, wurden sie wieder krank."

Jedoch gab es noch eine zweite Möglichkeit, um die Mäuse zu behandeln, ohne auf Antibiotika zurückgreifen zu müssen: Indem das entzündungssteigernde Interleukin-6 gehemmt wurde, konnten auch so die blutkrebsfördernden Störungen rückgängig gemacht werden. Dieser Vorgang ist dabei nichts Neues: Dieselben Hemmer werden in der Behandlung von rheumatischer Arthritis eingesetzt und führen auch beim Menschen zu positiven Resultaten.

Schritt zur Prävention

Der nächste Schritt sei es zu schauen, ob die erhöhten Interleukin-6-Werte auch im Menschen mit der Menge an Tet-2-mutierten Zellen korrelieren. "Wenn sich herausstellt, dass es auch bei uns relevant ist, könnte man in Zukunft Menschen mit Tet-2-Mutationen untersuchen und schauen, ob sie auch ein erhöhtes Interleukin-6 haben. Das zu hemmen wäre dann ein leichtes Spiel", sagt Meisel. Das internationale Team sei deswegen schon im Gespräch mit einer Gruppe in Kanada, um klinische Studien in die Wege zu leiten.

Die internationale und interdisziplinäre Herangehensweise ist für Meisel grundlegend: "An unserer Studie haben Forscher aus Medizin, Genetik, Biochemie und Onkologie mitgewirkt. Man muss hier einen Schritt zurückgehen und die Fächer verwachsen lassen." Sie selbst ist studierte Ernährungswissenschafterin und interessierte sich schon in ihrem Masterstudium für Immunologie. "Die Kommunikation zwischen Mensch und Mikrobe ist ziemlich komplex. Wenn man sich nur auf die Vorgänge im Menschen konzentriert, übersieht man vermutlich viele relevante Dinge." (Katharina Kropshofer, 26.5.2018)