Spontandemo im bayerischen Flüchtlingszentrum: Die Wartenden wollen raus aus der alten Kaserne.

Foto: Birgit Baumann

"Was ich hier mache?" Amaru aus Nigeria holt kurz Luft, und es ist ganz still, doch dann brüllt er los: "Ich weiß es nicht! Ich bin seit neun Monaten Gefangener in diesem Lager! Ich warte und warte und warte! Ich will hier endlich raus. Die Hölle muss besser sein als das da!"

Der 28-Jährige ist aufgebracht, und er ist es nicht allein. Viele Menschen in seinem Alter haben sich am Tor einer alten, ausgedienten Kaserne im bayerischen Manching bei Ingolstadt versammelt. Sie wollen ihre Geschichten erzählen von der Flucht aus Afrika. Und vor allem möchten sie ihren Frust loswerden. "Ich will arbeiten, ich kann nähen, ich kann auch putzen, aber ich komme hier nicht raus, wir verzweifeln hier, das Essen ist grauenvoll, jeden Tag Brot, Brot, Brot", sagt Lisha. Auch sie ist schon acht Monate hier und wartet und wartet.

Zentren mit wenig Aussicht

Dabei sollte hier alles anders sein. Schon 2015 beschloss die bayerische Staatsregierung unter Führung des damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), in Bayern eigene Zentren für Menschen mit geringer Bleibeperspektive einzurichten. Die Idee dahinter: Flüchtlinge werden, bis sie ihren – voraussichtlich negativen – Bescheid bekommen, gar nicht erst in Wohnungen untergebracht, sondern in diesen Zentren. Es gibt eines in Ingolstadt und eines in Bamberg. Die Menschen sollen sich nämlich nicht integrieren, sondern hurtig wieder verschwinden. Das Signal ist klar, und bei diesem Besuch formuliert es Oberregierungsrat Daniel Waidelich von der zuständigen Regierung von Oberbayern so: "Es lohnt sich nicht, zu kommen. Man ist rasch wieder draußen aus Deutschland."

Seehofer ist mittlerweile deutscher Innenminister. Bald will er in ganz Deutschland solche Zentren einrichten, 50 an der Zahl. Anker-Zentren sollen sie heißen, das ist die Abkürzung für Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen.

Aber in der Kaserne in Manching klappt das mit den raschen Abläufen, von denen Seehofer immer spricht, nicht. 1.100 Menschen leben zurzeit hier. Anfangs waren in der Kaserne vor allem Asylwerber aus dem Westbalkan untergebracht. Sie machen jetzt nur noch ein Achtel der Bewohner aus. Die Hälfte stammt aus Nigeria, der Rest verteilt sich vor allem auf die Ukraine und Afghanistan.

Viereinhalb Monate betrage die durchschnittliche Verweilzeit, heißt es offiziell. Allerdings: Die Zahlen beziehen sich auf die Anfangszeit, als noch sehr viel mehr Menschen vom Westbalkan hier waren, die vergleichsweise rasch ihre Bescheide bekamen. Aktuelle Zahlen gibt es nicht.

Sehr viele Einzelfälle

Wie könne es sein, dass so viele Menschen von Aufenthalten von bis zu einem Jahr sprechen, werden die Verantwortlichen gefragt. "Einzelfälle dauern möglicherweise länger", lautet die Antwort.

Überhaupt ist man bemüht, ein anderes Bild der Unterbringung zu zeichnen, als es die Bewohner tun: "Natürlich wird niemand hier eingesperrt, jeder kann das Zentrum jederzeit verlassen." Wohl wahr, aber wo sollen sie hin? Die ehemalige Kaserne liegt weit außerhalb der Stadt, mitten in den Feldern.

"Manchmal fahre ich mit einem Rad ein bisschen rum", sagt Amaru. "Aber da draußen ist man ja ganz allein." Also bleibt er meist auf dem Gelände der Kaserne. Fußball, Basteln, Federball, Malen mit Kreide und Tischtennis werden dort als Zeitvertreib angeboten.

Sachleistungsprinzip gilt

Die Flüchtlinge würden lieber gemeinsam kochen, aber das ist verboten. "Es geht nicht aus Brandschutzgründen. Und Soldaten in Kasernen kochen ja auch nicht selbst", erklärt Waidelich. Außerdem gilt das Sachleistungsprinzip: Essen, Kleidung und Hygieneartikel werden gestellt, an Bargeld erhalten die Flüchtlinge im Monat rund 120 Euro.

Während des Rundgangs stellen sich plötzlich rund 30 Bewohner den Journalisten in den Weg. "Wir wollen Freiheit!", rufen sie immer wieder. Einer hält eine selbstgeschriebene Botschaft in die Kamera: "Wir haben es satt, in Camps zu leben. Bitte, wir brauchen eine Verlegung."

Willi Dräxler von der Caritas, die im Zentrum Flüchtlinge betreut, wundert der Aufstand nicht: "Erst sind die Menschen perspektivlos in ihrer Heimat, dann sind sie perspektivlos im Transitzentrum." Er warnt vor den Anker-Zentren und plädiert für eine Unterbringung in kleineren Einheiten: "Die Menschen brauchen Unterstützung."

Doch das sei in diesen Zentren gar nicht gewollt, obwohl letztendlich 17 Prozent der Nigerianer bleiben dürfen. Sein Fazit: "In solchen Unterkünften werden die Menschen bewusst außerhalb der Gesellschaft gestellt." (Birgit Baumann aus Ingolstadt, 23.5.2018)