Der Grenzzaun zur spanischen Exklave Melilla im Norden Marokkos zieht immer wieder flüchtende Menschen an. Neue Recherchen zeigten auch den schrecklichen Menschenhandel mit Babys an jenem Ort auf.

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In Spanien steht mit Eduardo V. am 26. Juni erstmals einer jener Ärzte vor Gericht, die beschuldigt werden, zwischen 1977 und 1985 mindestens 28 Babys aus Marokko geraubt und nach Spanien verkauft zu haben. Wenngleich offizielle Zahlen fehlen, geht man in Spanien, Frankreich und Marokko von hundertausenden ähnlich gelagerten Fällen, vor allem im faschistischen Spanien der 1930er- bis 1970er-Jahre, aber auch darüber hinaus, aus. Neugeborene wurden unter der falschen Angabe deren plötzlichen Todes ihren Müttern im Spital entwendet und an betuchte spanische Familien verkauft. Zwischen 1200 und 6000 Euro verlangten die Menschenhändler für die Erfüllung des Kinderwunsches. Neue Recherchen der spanischen Tageszeitung El Mundo zeigten nun, wie in Marokko ebenfalls ein Netzwerk aus Menschenschmugglern in Kliniken aktiv war und die Babys über die Nordafrikaenklave Melilla nach Spanien brachte.

Schwierige Spurensuche

Einer von bisher 53 bekanntgewordenen Fällen ist der 39-jährige J. Geboren im El-Hassani-Spital der Hafenstadt Nador, nahe Melilla, unterrichtete man seine leibliche Mutter über den angeblichen Tod. Mittlerinnen, wie Fátima M., fädelten den Deal dann ein – für 300 Euro stahl eine Krankenschwester den Buben aus dem Spital. 250.000 Peseten war damals sein "Kaufpreis", rund 1500 Euro. Seine Adoptiveltern bestätigten J., mit der Mittelsfrau Kontakt gehabt zu haben. Mindestens fünf Babys brachte sie den Akten zufolge auf diesem Weg über die Grenze nach Melilla, wie der TV-Sender La Sexta bereits 2013 ans Licht brachte. J. war eines davon. Nun begab er sich erstmals auf Spurensuche in Marokko. In Nador machte er zwei ehemalige Ärzte des Spitals ausfindig, einen Ex-Polizisten und eine Krankenschwester, die in den 1970ern und 1980ern dort arbeiteten und ihm seine Befürchtungen bestätigten.

Enrique Vila, Anwalt und Präsident des Vereins SOS Raíces Adoptados hatte hunderte ähnliche Fälle in seiner Kanzlei. Aus Gerichtsakten weiß er, "dass viele Geburten nicht in Spitälern, sondern in angemieteten Wohnungen in der Enklave stattfanden", berichtete er El Mundo. Hochschwangere Frauen führte man zur Entbindung über die Grenze. Andere Kinder, wie J., schmuggelte man in Laken gewickelt. Ihre wahre Identität erfahren die wenigsten. (Jan Marot aus Granada, 23.5.2018)