Ihr erster "Herbst" wird eines der Auftragswerke. Ekaterina Degot, die ihr Deutsch im vergangenen Jahr zum Fließen brachte, sieht ihn als "große Ausstellung".

Foto: Christian Benesch

Nun also Graz. Nein, das hätte sich die Moskauerin Ekaterina Degot nicht gedacht, hätte sie 1997 jemand gefragt, ob sie einmal für fünf Jahre in diese Stadt ziehen würde. 1997 war sie als Expertin für russische Kunst vom 19. Jahrhundert bis hinein in die Postsowjet-Ära zum Steirischen Herbst eingeladen. Zonen der Verstörung hieß das Projekt damals. "Ich sollte eigentlich einen Vortrag halten", erinnert sich die Kunsthistorikerin beim Gespräch in einem Wiener Kaffeehaus. "Es wurde eine Performance daraus, denn ein Künstler saß im Publikum, der nach jedem Satz laut ,Oh, really?' sagte."

"Man hörte mich nicht", sagt Degot heute, also beendete sie den Vortrag und akzeptierte, dass ihr Beitrag zur Performance mutiert war – ihren Text würde es ohnehin später in gedruckter Form zu lesen geben. Der Künstler war der Russe Alexander Brener. Bei seinem Namen fällt einem spontan Malewitsch ein. Ist das der? "Jaja", lacht Degot, "er hat ein Dollarzeichen auf einen Malewitsch gesprayt." Das war ebenfalls 1997 im Städtischen Museum in Amsterdam. Eine Intervention, die folgenreicher war als die Zwischenrufe in Graz. Brener wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Degot könnte sich durchaus vorstellen, ihn einmal einzuladen. Im September wird sie ihren ersten Steirischen Herbst als Intendantin ausrichten.

Komplexe Geschichte

Graz war damals für Degot eine der ersten Städte des Westens, die sie besuchte. "Was ich über Graz wusste, war Hans Haacke", sagt sie, "in Kunstkreisen war das das Wichtigste, was man über die Stadt wahrgenommen hat." Gemeint ist Haackes Arbeit beim Steirischen Herbst 1988, Und ihr habt doch gesiegt, eine Replik eines NS-Obelisken, der 1938 in Graz gestanden ist. Einerseits habe die Arbeit die Geschichte der Stadt thematisiert, andererseits auch die 1980er. Wichtig war auch, wie man mit der Arbeit umgegangen ist, so Degot. Die Säule fiel einem rechtsextremen Brandanschlag zum Opfer. Degot zeigt sich überrascht über die Komplexität der Stadt Graz.

Das Programm ihres ersten Jahres mit dem Titel Volksfronten liest sich spannend. Die Eröffnung wird nicht mehr in der Helmut-List-Halle stattfinden, sondern vom Hauptbahnhof quer durch die Innenstadt als Parade durch den öffentlichen Raum wachsen. "Es ist offen für die ganze Stadt", betont Degot. Das amerikanische Bread and Puppet Theater wird den Marsch anführen, der mehrere Kilometer lang sein wird. Auf dem Weg ins Stadtzentrum werden Künstler eingebunden, die sich alle mit dem jeweiligen Ort beschäftigen. Lokale Bezüge seien ihr wichtig, so Degot. Über die Mur geht es bis auf die Kasematten auf dem Schlossberg, wo man – mit Eintrittskarte – eine Version des Musicals Sound of Music der Gruppe Laibach zeigt.

Wer auf ein lustiges Spektakelfestival schließt, irrt. Eines der häufigsten Worte im Programm Degots ist "Faschismus". Auch der Titel Volksfronten erinnert einerseits an antifaschistische Allianzen der 1930er-Jahre, andererseits ist er bei den Rechtsextremen in den USA gebräuchlich. Nicht nur in vielen Kunstproduktionen, auch in dem Symposium Unsere kleinen Faschismen, wo sich Intellektuelle aus aller Welt austauschen werden, zieht sich das Thema wie ein roter Faden durch die Wochen vom 20. September bis zum 14. Oktober, in denen fast nur Auftragswerke bzw. Uraufführungen gezeigt werden.

Nationalismus als Gefahr

Was bedeutet Faschismus für Degot? "Für mich ist das Nationalismus. Der ist das Gefährlichste, und da sind wir dem Faschismus manchmal schon sehr nahe", findet Degot, sei es "bei der AfD in Deutschland, den Entwicklungen in Orbáns Ungarn oder auch teilweise in Österreich".

Degot wurde 1958 in Moskau geboren, studierte in ihrer Heimatstadt Kunstgeschichte und war von 1981 bis 1988 Kuratorin der staatlichen Tretjakows-Galerie – also mitten im Kommunismus. Ab 1993 schrieb Degot, die eine in Moskau lebende Tochter hat, auch als Journalistin für die Tageszeitung Kommersant. 2014 wurde sie für fünf Jahre Leiterin des Festivals der Kulturen der Welt in Köln. Im selben Jahr kam der Film Die Moskauer Prozesse des Schweizer Theatermachers Milo Rau heraus. Darin geht es um Prozesse gegen Künstler und Kuratoren, Degot fungiert darin als eine Verteidigerin der Künstler.

Wie erlebte die kritische Kunsthistorikerin Repressionen im Kommunismus und nun unter Putin? "Die Situation der Künstler in der Sowjetunion ist für Außenstehende unmöglich zu verstehen", ist sie sich sicher, "es war total unmöglich zu reisen, man war isoliert, aber Künstler und Kunsthistoriker wussten, was draußen geschah. Natürlich waren wir nicht glücklich damit, aber man hat es akzeptiert wie das Wetter. Doch diese Kreise waren subversiv, das war eine seltsame Art von Freiheit innerhalb von Mauern. Was da produziert und gezeigt wurde, wollen heute alle Museen und Sammlungen weltweit."

Inhaltlich sei es heute schwieriger, so Degot. "Es gibt mehr Feinde: Staat, Kirche und Kommerz. Werbung zu bekämpfen ist schwieriger. Man kann immer sagen, ich habe mit Putin nichts zu tun, aber Werbung durchdringt alles, verändert das Denken von kritisch zu affirmativ. In der späten Sowjetunion gab es kritische Ironie, in der Werbung nicht".

"Bildende Künstler machen heute alles"

Viele Stimmen meinten, durch den Wechsel von der Theaterfachfrau Veronica Kaup-Hasler zur Kuratorin Degot würde das Festival stärker zu einem der bildenden Kunst werden. Das Programm beweist das nicht. Wie sieht das die neue Intendantin? "Ja, ich komme von der bildenden Kunst, aber wie wir wissen, machen bildende Künstler heute alles: Theater, Performance, sie können einen Roman schreiben. Viele Performances, die wir zeigen, sind also tatsächlich von bildenden Künstlern, aber Malerei wird das keine." Sie sehe das ganze Festival als eine Art "Parcours, als eine große Ausstellung" – und an der nehmen auch Theaterregisseure und Filmemacher teil.

Manche Dinge kann man nicht planen. Während des Gesprächs mit Degot schreitet ihre Vorgängerin, Veronica Kaup-Hasler, durchs Café. Ein herzliches Hallo folgt – und die Frage drängt sich auf: Ist es für sie denkbar, auch einmal in die Politik zu wechseln wie Kaup-Hasler, die nun Wiens Kulturstadträtin wird? Es sei ein gutes Zeichen für die Politik hier, meint Degot. Aber "in Russland wäre das unmöglich. Das sind zwei verschiedene Welten. Wenn man das machen würde, wäre man in alle Ewigkeit vom Putin-Regime korrumpiert. Für mich völlig undenkbar." (Colette M. Schmidt, 23.5.2018)