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Philip Roth 1933-2018

Foto: Reuters/Thayer

New York/Wien – Vor einigen Monaten, im Jänner dieses Jahres, gab Philip Roth dem "New Yorker" – einmal noch – eines seiner seltenen Interviews. Zu diesem Zeitpunkt war es ziemlich genau sechs Jahre her, dass der 1933 in Newark, New Jersey geborene Sohn jüdischer Einwanderer mit dem Schreiben aufgehört und sich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückzogen hatte.

Er habe gemerkt, so Roth damals, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibe. Also habe er sich noch einmal in das Werk jener Autoren vertieft, die ihn beeindruckt hätten. Dostojewski etwa, Turgenjew, Conrad oder Hemingway. Danach habe er noch einmal seine eigenen Bücher gelesen und sei zu dem Schluss gekommen, dass er besser aufhöre, Fiktion zu schreiben. "Ich habe mein Leben dem Roman gewidmet: Ich habe das Romanschreiben studiert, ich habe es unterrichtet, ich habe Romane geschrieben und gelesen", meinte Roth. Alles andere sei für ihn zweitrangig gewesen. Er merke, dass er diesen "Fanatismus" nicht mehr aufbringen könne, zumal er das Schreiben als andauerndes Scheitern empfinde – und als ständigen Kampf um das Besserwerden. Außerdem: "Wer braucht schon ein weiteres mittelmäßiges Buch."

Einer der Wichtigsten

Dieser hohe Anspruch an die Literatur, seine Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit machten Philip Roth zu einem der wichtigsten Autoren der US-Gegenwartsliteratur, der auch für eine ganze Generation von Lesern in Europa prägend war. Die honorigen Herrschaften in Stockholm wollten dem Amerikaner den Literaturnobelpreis dann doch nicht geben, obwohl er dafür mehr als ein Jahrzehnt lang als logischer Kandidat galt. Wahrscheinlich war er ihnen zu radikal und zu explizit.

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In der Tat kann es schon vorkommen, dass in Roths rund dreißig Bände umfassendem Romanwerk ein Mann mit den Worten "Oh du, heirate mich, du Schlampe, heirate mich!" auf das Grab der verstorbenen Geliebten masturbiert ("Sabbaths Theater", 1995), oder sich ältere, Viagra schluckende Männer beim Sex mit jungen Frauen wie Zeus höchstpersönlich fühlen ("Der menschliche Makel", 2000). Schon in "Portnoys Beschwerden" (1969) hatte Roth die sexuellen Erfahrungen und Nöte eines im jüdisch-amerikanischen Milieu Heranwachsenden so explizit beschrieben, dass das Buch selbst in der liberal-libertären Phase der späten 1960er-Jahre zum Skandal geriet.

Aufgewachsen in der Provinz

Seither wird Roth, dessen Vorfahren aus Galizien in die USA einwanderten (er schrieb darüber in "Amerikanisches Idyll", 1997) oft auf das Thema Judentum, Amerika und Sex festgelegt. Das focht den in einfachen Verhältnissen, in einem liebevoll spießigen Elternhaus in der Provinz aufgewachsenen Autor wenig an. Denn wenn Roth über Männer in den USA schreibt – es handelt sich dabei nicht um Helden mit außergewöhnlichen Eigenschaften, sondern, wie es Roth mit Aristoteles sagt, um "mittlere Charaktere" –, schreibt er immer auch über das Glücksverlangen des Individuums in einer von Normen bestimmten Gesellschaft – und über Frauen.

Und es ist kein Zufall, dass fast alle seine Frauenfiguren wie Roth selbst aus der ärmlichen, kargen Gegend Newarks stammen. Wie Roths männliche Protagonisten ringen auch sie unter der Anwendung des ganzen Arsenals von Sex, Psychotherapie und Literaturlektüre um jenen Lebenssinn und eine Erlösung, die in Roths Büchern seit seinem Debüt "Goodbye, Columbus" (1959) nicht zu haben ist.

Nicht Sex, sondern Wut

Das "dreckige Geheimnis" seiner Romane ist laut Roth sowieso nicht Sex, sondern die Wut. Ihr wandte sich Roth, nachdem er sich in den 1970er-Jahren mit einer Romanserie über den fiktiven Schriftsteller Zuckerman aus einer großen Lebenskrise herausgeschrieben hatte und zu neuen literarischen Gefilden vordrang, in seinem großen Romanzyklus "Nemesis" ("Jedermann", 2006, "Empörung", 2008, "Die Demütigung", 2009, "Nemesis", 2010) zu, der nach der griechischen Rachegöttin benannt ist. Den tief in seinem Werk angelegten Themen wie wirkliche und eingebildete Schuld, Vergeblichkeit, Tod und Schicksal blieb er bis zum selbstgewählten Abschluss seines Werkes treu.

Im anfangs zitierten Interview, seinem letzten, wurde noch einmal klar, was man an diesem Autor hat – und was mit ihm verloren geht. Bei Donald Trump, so Roth, der einst in dem Roman "Verschwörung gegen Amerika" (2004) das Szenario einer faschistischen Diktatur in den USA durchspielte, handle es sich "um einen großen Betrüger, (…) frei von allem außer der leeren Ideologie eines Größenwahnsinnigen". Ansonsten wurde in dem in der "Süddeutschen" in deutscher Übersetzung nachgedruckten Gespräch ein Autor spürbar, der mit sich selbst im Reinen war.

Schreiben, so Roth im Jänner, sei wie das Schwimmen in einem ausgelassenen Swimmingpool. Aus diesem Gefängnis habe er sich selbst entlassen, das verschaffe ihm die Muße, sich in der Fülle der Lektüreangebote treiben zu lassen. Er staune dabei, was ihm als freiem Leser nun begegne: unter anderem Springsteens Autobiografie. Philip Roth starb in der Nacht auf Mittwoch 85-jährig im Kreis enger Freunde in New York an Herzversagen. (Stefan Gmünder, 23.5.2018)