Der Musikwissenschaft hat Verena Sailer ihre Forschungskarriere gewidmet. Sie studierte in Wien und Brüssel, forschte in Frankreich. Heute leitet sie eine Buchhandlung in Judenburg.

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"Eigentlich wollte ich in meiner Jugend Flötistin werden, unterrichten, in einem Orchester spielen. Doch je mehr ich mich mit der Materie auseinandersetzte, bei Meisterkursen und Wettbewerben, desto klarer wurde mir, dass es doch nicht meines ist.

Bei meinem Studium in Wien und Brüssel konzentrierte ich mich daher auf die Musikwissenschaft. Ich arbeitete einige Zeit im Archiv des Arnold Schönberg Center in Wien und lebte später als freie Wissenschafterin unter anderem in Frankreich. Da ich gegen Ende meiner Dissertation wegen eines Stipendiums unter Zeitdruck war, bin ich anstatt nach Wien zurück in meine Heimatstadt Judenburg gezogen.

Als Übergangslösung

Das war eigentlich als Übergangslösung gedacht, nichts hat darauf hingedeutet, dass ich je wieder ganz aufs Land zurückkehre. Denn das wissenschaftliche Arbeiten hat mir gut gefallen: das Lesen und Recherchieren, Zusammenhänge erarbeiten, an und mit Texten arbeiten. Und ich habe gerne in Wien gewohnt, lebte mehrfach im Ausland ... Was soll ich da auf dem Land?

Aber die Vorteile einer Kleinstadt haben mich überzeugt: Die kurzen Wege. Man läuft sich über den Weg, ohne langwierige Verabredungen. Wohnungen, die man sich in Wien nie leisten könnte. Die intakte Natur rundherum. Auch die kulturellen Angebote sind vielfältiger, als man glauben möchte. Nachdem ich eine regionale Ausstellung zum Thema Zirbe organisiert hatte, bekam ich die Möglichkeit, beim österreichischen Buchhändler Morawa völlig neu anzufangen. Das war vor etwa zehn Jahren. Ich habe dann nach Vorlage der notwendigen Praxisnachweise die Lehrabschlussprüfung nachgeholt. Allerdings musste ich nicht wie Jugendliche eine dreijährige Lehre absolvieren, sondern konnte mich auf die Prüfung selbstständig vorbereiten.

Lehrabschluss nachgeholt

Natürlich war ich eine der Ältesten – aber nicht die einzige Erwachsene. Es gab in dem Jahrgang zwei, drei Quereinsteiger wie mich. Anfangs habe ich bei Morawa in Knittelfeld, später in Graz gearbeitet. Dafür bin ich von Judenburg aus gependelt. Ich lernte dabei verschiedenste Seiten des Buchhandels kennen. Zu dieser Zeit gründete ich auch meine Familie und habe mittlerweile drei kleine Kinder.

Mein Mann, auch ein Judenburger, der aus New York in die Steiermark zurückkehrte, und ich haben uns die Karenzen immer fair aufgeteilt. Die erste Hälfte übernahm ich, die zweite er. Das hat gut funktioniert, war aber für Judenburg ungewöhnlich. Wäre ich in Wien geblieben und hätte dort eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen – ich weiß nicht, ob ich eine Familie gegründet hätte.

Hier auf dem Land ist für mich vieles einfacher. Die Qualität der Bildungseinrichtungen stimmt, die Auswahl auch. Die beiden größeren Kinder gehen etwa bereits selbstständig in die Volksschule und auch ihren Hobbys nach, ich muss sie nicht überallhin begleiten.

Ist Judenburg wie viele Gemeinden auf dem Land eine sterbende Stadt? Für mich ist das ein Vorurteil. Ich habe hier die Chance, meine Vorstellungen einer lebenswerten Umwelt einzubringen und mich dafür aktiv im Gemeinderat zu engagieren. Natürlich ist es nicht einfach, wenn viele Junge nach der Matura wegziehen. Aber ich bin ja auch zurückgekommen, denn es gibt hier sehr wohl interessante Perspektiven und Karrieremöglichkeiten.

Für Bücher begeistern

Mein Arbeitgeber hat mir während meiner drei Karenzen immer die Treue gehalten, ich konnte mich beruflich kontinuierlich weiterentwickeln. Das war auch dank eines starken familiären Netzwerks vor Ort möglich, das mir vieles enorm erleichtert. Im Februar habe ich nun die Leitung der Morawa-Filiale in Judenburg übernommen und bin voller Pläne. Vor allem möchte ich auch Kinder für die Welt der Bücher begeistern. Ich bin eine passionierte Leserin und habe mein Hobby zum Beruf machen dürfen. Meine Leseerfahrungen und meine Liebe zur Literatur teile ich einfach gern.

Und Judenburg ist eine wirklich schöne, lebenswerte Stadt mit einem historischen Stadtkern. Da gehört eine Buchhandlung als Treffpunkt einfach dazu. Ein überdimensioniertes Fachmarktzentrum am Stadtrand zieht viel Kundenfrequenz ab und natürlich gibt es den Onlinehandel. Aber wir sind Buchhändler aus Fleisch und Blut, keine Algorithmen oder Suchmaschinen, die die passende Lektüreempfehlung "berechnen".

Es macht mir Spaß, mich mit Kunden auszutauschen, sie zu beraten. Ich versuche daher in jedem Gespräch, ein Gefühl dafür zu bekommen, was der Person gerade wichtig ist und was ihr momentan gefallen könnte. Und – man lernt in diesem Beruf nie aus, es erscheinen schließlich mehr als zweihundert Buchtitel pro Tag allein im deutschsprachigen Raum. Man kann gar nie genug gelesen und gehört haben. Aber genau das macht meine Arbeit so schön." (Johanna Ruzicka, 1.6.2018)