Regierungsspitzen Strache und Kurz, Oppositionspolitiker Strolz: Die Koalition könnte die Stimmen der Neos noch brauchen.

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Wien – ÖVP und FPÖ geloben, an dem Prinzip nichts ändern zu wollen: Auch nach der Reform sollen sich die von 21 auf vier bis fünf Träger fusionierten Sozialversicherungen selbst verwalten. In der Führungsriege wird kein Regierungsvertreter sitzen.

Sehr wohl aber verändert die Koalition die Kräfteverhältnisse. Verfügen die Arbeitnehmer in den Leitungsgremien der Gebietskrankenkassen derzeit über eine Mehrheit von vier zu eins, so ist im Verwaltungsrat der österreichweit künftig einzigen "Gesundheitskasse" ein Gleichstand zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern geplant. Genau diese Verschiebung widerspreche aber dem Bekenntnis der Regierung, urteilt Walter Pfeil, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Salzburg: "Mit den neuen Kräfteverhältnissen kann von Selbstverwaltung keine Rede mehr sein."

Die Neos zerpflücken neuerlich die Krankenkassenreform. Für Parteichef Strolz ist sie ungerecht, er nennt sie einen "Marketing-Gag"der Bundesregierung.
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Arbeitnehmer müssen das Sagen haben

Warum das so ist, erklärt der Experte folgendermaßen: Einfach ausgedrückt, bedeutet Selbstverwaltung, dass sich die Betroffenen, also die Versicherten, ihre Angelegenheiten selbst regeln. Das sind im Fall der Krankenkasse nun einmal die Arbeitnehmer, weshalb deren Vertreter Anspruch auf Dominanz hätten. Zwar zahlen die Arbeitgeber ebenfalls Sozialversicherungsbeiträge, doch dies rechtfertige noch lange nicht gleichen Einfluss.

Es gehe dabei nicht bloß um eine Begriffsdebatte, sagt Pfeil und verweist darauf, dass die Verfassung die Selbstverwaltung garantiert. "Hebelt die Regierung nun die bestehende Selbstverwaltung mit der Kräfteverschiebung aus, muss sie die Verfassung ändern", urteilt der Professor und sieht ähnliche Probleme bei einer Umstellung der Beitragseinhebung, die ebenfalls zum Kern der Selbstverwaltung gehört. Für beides brauche die türkis-blaue Koalition eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, also zusätzlich die Stimmen von SPÖ oder Neos.

Da die SPÖ in Fundamentalopposition zum Umbau der Sozialversicherung steht, kommen nur die Neos infrage. "Herschenken werden wir ein Ja nicht", sagt deren Sozialsprecher Gerald Loacker auf Anfrage des STANDARD: "Wir wollen Verbesserungen erreichen."

Neos sehen Voodoo-Politik

Viel haben Loacker und Noch-Parteichef Matthias Strolz daran auszusetzen. Ein "Marketing-Gag" sei die Reform, zumal die Zahl der Krankenkassen nur auf dem Papier reduziert werde. De facto blieben die Landeskassen als regionale Stellen bestehen, sagt Strolz und macht sich über die Aussage von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) lustig, wonach die Budgethoheit bei der Zentrale liege, die Budgetautonomie aber in den Ländern: "Das sind Synonyme. Das ist Voodoo."

Unhaltbar sei die erhoffte Einsparung von einer Milliarde, zumal die Regierung nicht ans "Eingemachte" gehe: Schließlich bleiben die 15 Krankenfürsorgeanstalten der Länder und Gemeinden von einer Zusammenlegung verschont. Dass diese ebenso wie die Beamtenversicherung bessere Konditionen bieten können, weil sie keine Arbeitslosen mittragen müssten, halten die Neos für unfair gegenüber Arbeitern und Angestellten.

Loacker rechnet allerdings eher nicht mit einer Vetomöglichkeit: Die Regierung habe offenbar vor, es auf einen späteren Einspruch des Verfassungsgerichtshofs ankommen zu lassen und die Reform erst einmal zu beschließen. Aus der Koalition heißt es dazu: Verfassungsrechtlich heikle Fragen müssten noch im Detail geklärt werden. (Gerald John, 24.5.2018)