Meine Lehrerkarriere begann nicht gerade verheißungsvoll. Ich konnte die Volksschule, der ich zugeteilt war, nicht finden. Der Brief des Bezirksschulrates Schärding nannte Achleiten als Dienstort, ich war im Salzkammergut zu Hause. Wie die meisten Oberösterreicher dachte ich beim Wort Achleiten sogleich an den Achleitner Schlosskäse, aber das Käse-Achleiten konnte offensichtlich nicht meines sein, denn es liegt nicht im Bezirk Schärding. Mein Mittelschulatlas erwies sich als nutzlos, und Google Earth war Anfang der 1960er-Jahre noch nicht erfunden. Ein Anruf beim Bezirksschulrat wäre mir wie ein Eingeständnis meiner Berufsunfähigkeit vorgekommen. Außerdem hätte ich zum Telefonieren zum Postamt gehen müssen, denn weder ich noch einer meiner Bekannten hatte damals ein Telefon. In meiner Not suchte ich den heimatlichen Gendarmerieposten auf, denn irgendjemand hatte mir gesagt, dass es dort ganz genaue Oberösterreichkarten gab. Ich wurde fündig: eine winzige Ortschaft auf einem Bergrücken des Sauwaldes oberhalb von Wernstein am Inn, das als Wohnort Alfred Kubins eine bescheidene Bekanntheit erlangt hat. Bei der Erkundung, wie man dorthin gelangt, boten sich mir – autolos, wie ich war – zwei Optionen: mit dem Zug bis Wernstein zu fahren und dann zu Fuß mit dem Koffer etwa eine Stunde nach Achleiten aufzusteigen; oder nach Passau weiterzufahren, nach Österreich zurückzugehen und autostoppend auf einen Bauern mit einem Traktor oder auf einen mitleidigen, autofahrenden Zollbeamten zu warten.
Mein Arbeitsplatz war eine zweiklassige "Kaiser-Franz-Josef-Jubiläumsschule", die wie viele Schulen in der Monarchie zu einem runden Jubiläum der kaiserlichen Thronbesteigung 1848, vermutlich 1868, eröffnet worden war. Das nächstgelegene Wirtshaus war ungemütlich weit entfernt; wenn es überhaupt ein Gästezimmer gehabt hat, dann war es sicher eine Ewigkeit nicht mehr benutzt worden, nicht heizbar und mit Fensterbrettern voller toter Fliegen. Ich bezog daher dankbar das Zimmer im Schulgebäude, in dem 40 Jahre lang meine Vorgängerin, eine unverheiratete "Fräun", gewohnt hatte.
Deren Ehelosigkeit resultierte entweder aus dem Mangel an geeigneten Ehekandidaten unter den ziemlich naturbelassenen Sauwälder Jungbauern, oder sie befolgte freiwillig weiter den Zölibat für Lehrerinnen, der in Oberösterreich bis 1918 gegolten hatte. Die Dekoration des Zimmers war ein Exzess von Roserln: auf den Tapeten, auf dem Teppich, auf der Bettwäsche, auf den Vorhängen, auf dem Geschirr ... Geschirr brauchte ich eigentlich keines, denn so, wie die kinderreiche Lehrersfamilie das alte Fräulein als "Tante" mitbekocht und mitversorgt hatte, wurde auch ich der Einfachheit halber als zusätzlicher Sohn adoptiert.
Von den beiden Klassen umfasste die eine die erste bis dritte Schulstufe, die zweite die vierte bis achte Schulstufe. Die Volksschuloberstufen verschwanden erst mit dem Ausbau der Hauptschulen in den 60er- und 70er-Jahren. Die Administration war herzerfrischend einfach und autonom. Mein Kollege, der Schulleiter, fragte mich zu Schulbeginn: "Gruaba, welche Klass hast liaba?" Ich dachte mir, eins bis drei klingt nach "weniger" als vier bis acht und wählte die Kleinen. Unglücklicherweise schüchterten mein Hochdeutsch oder mein Habitus die kleinen Bauernkinder so ein, dass zwei von ihnen am ersten Schultag in die Hosen machten. Als wäre es das Alltäglichste auf der Welt, wusch die Lehrersfrau die beiden Buben im Schulhof, gab ihnen reine Ersatzkleider aus ihrem Fundus und beim Mittagessen kam ich mit meinem Seniorkollegen überein, dass ich ab dem zweiten Schultag mit ihm tauschen und doch lieber die Klasse mit den älteren Schülern übernehmen wollte.
Als blauäugiger Junglehrer hatte ich allerhand "progressive" Unterrichtsideen im Kopf. Als ich die Bänke zum Gruppenunterricht umstellen wollte, musste ich feststellen, dass sie seit der Schulgründung vor etwa hundert Jahren nicht bewegt worden waren. Zwischen den doppelsitzigen Bänken hatten hunderte von Kinderfüßen im Laufe der Jahrzehnte tiefe Rillen in den Ziegelboden der Klasse geschliffen, vergleichbar den römischen Radfurchen in den Straßen von Pompei, sodass die Bänke auf mehrere Zentimeter hohen kleinen Inseln standen. Da es unmöglich war, die Bänke außer auf ihren "angestammten" Plätzen waagrecht aufzustellen, musste ich diese Innovation abbrechen.
Es mag biedermeierlich-nostalgisch klingen, aber die Schulwelt im Sauwald war damals noch heil: Die Kinder pflückten auf dem Schulweg Erdbeeren und Blumen für mich, und als sich herumsprach, dass ich bei der Lehrerfamilie wohnte, fand ich auf meinem Lehrertisch hin und wieder Speck, Butter, Bauernbrot und Eier vor. Beamtenbestechung? Nicht wirklich. Die Eltern zeigten Respekt vor der Institution Schule, aber sie hatten keine Ambitionen auf weiterführende Bildung für ihre Kinder, die "den Hof übernehmen" oder ein vertrautes Handwerk erlernen sollten. Es war die Zeit der Windstille vor dem bildungspolitischen Aufbruch der Kanzlerschaft Bruno Kreiskys. Die älteren Kinder der Lehrersfamilie besuchten allerdings trotz des mühsamen langen Schulwegs das Schärdinger Gymnasium.
Ein nicht heizbares Kabinett
Aus heutiger Sicht befremdlich war die generelle Bereitschaft der Eltern, mir ihre Züchtigungsgewalt zu übertragen: "Wenn der Bua net folgt, hauen Sie ihn nur." Es wäre mir nicht im Albtraum eingefallen, meine Schützlinge zu hauen. Ich mochte diese durchwegs ein bisschen nach Stall riechenden Kinder, und sie mochten mich trotz des Mangels, nicht die lokale Mundart zu sprechen und nicht gewusst zu haben, was eine "Dult" ist. (Um allen Nicht-Innviertlern das Googeln zu ersparen: ein mehrtägiger Kirtag.) Die Kinder waren froh, in der Schule zu sein. Als hin und wieder ganz gesund wirkende Kinder fehlten und ich meinen Direktorkollegen fragte, was ich wegen der ausbleibenden Entschuldigungen tun soll, sagte er "nix" – ältere Kinder müssten auf dem Hof mithelfen und selbst Mädchen auf den Feldern mit dem Traktor fahren; die Bauern würden unser Augenzudrücken nicht missbrauchen. Ich fand diesen unbürokratischen, auf Vertrauen, Hausverstand und gegenseitiger Wertschätzung beruhenden Schulalltag sehr angenehm.
Im Unterschied zu diesem idyllischen Landlehrerleben war der Betrieb an der Hauptschule Andorf "professioneller" (ein Wort, das damals niemand verwendete). Andorf war eine aufstrebende Markgemeinde am südlichen Rand des Sauwalds, mit kleinen und mittelgroßen Gewerbe- und Industriebetrieben in einem landwirtschaftlichen Umfeld. Als ich im Herbst 1961 nach Andorf kam, gab es dort eine "typische" einzügige Landhauptschule. (Die Zweizügigkeit der Hauptschulen wurde erst mit dem SchOG1962 beschlossen.) Mit Ausnahme der Arztkinder, die nach Schärding ins Gymnasium pendelten, besuchten alle Kinder des Ortes die begabungsmäßig so gut wie nicht "ausgelaugte" bzw. "abgesahnte" Hauptschule.
Ich bezog in der Wohnung des kinderlosen Schulwarteehepaars im Schulhaus ein nicht heizbares Kabinett. Da die sparsame Gemeinde die Schule auf ein sumpfiges Grundstück gebaut hatte, fror im Winter die Tuchent meines Bettes des Öfteren an der feuchten Zimmerwand an. Für die Schulwartin war ich der Sohn, den sie nie hatte; während sie kochte oder bügelte, erledigte ich auf dem Küchentisch meine Vorbereitungen und Heftkorrekturen.
Ich unterrichtete Englisch, Deutsch, Musik und Knabenhandarbeit. In der Lehrerbildungsanstalt hatten wir allerhand Nutzloses gelernt, darunter im Fach "Landwirtschaftskunde" das Anlegen einer Jauchegrube (da Sie fragen – auf der windabgewandten Seite des Hofes), den Herausforderungen des Werkens stand ich jedoch besonders unvorbereitet gegenüber. Hätte mir nicht der sehr geschickte Schulwart "Nachhilfestunden" gegeben, hätten meine Vogelhäuschen noch trauriger ausgesehen als so. Apropos trauriges Aussehen: Am Tag vor meiner Angelobung musste ich mich einer Zahnwurzelbehandlung unterziehen. Die schmerzstillende Injektion, die mir der Zahnarzt verabreicht hat, hätte für mehrere Pferde gereicht. Am Abend war ich richtig hungrig. Obwohl meine Lippen noch immer völlig gefühllos waren, begann ich zu essen, und ohne etwas zu spüren, biss ich mich mehrmals in die Unterlippe. Als ich am nächsten Tag in Schärding mit geschwollener, blutiger Lippe dem Bezirkshauptmann zur Angelobung gegenüberstand, bemerkte er sarkastisch-anerkennend: "Aha, der Herr Lehrer hat schon Bekanntschaft gemacht mit den Kopfinger Raufern." (Kopfing ist ein hübscher Ort im Sauwald, der damals für die Rauflust seiner jungen Männer bekannt war.) Und dann spendierte er, entweder weil es zum Angelobungsritual gehörte oder weil er sadistisch veranlagt war, mir und den anderen Junglehrern ein Schnaps, der auf meiner Lippenwunde natürlich höllisch brannte. Ich verzog – wie ein Kopfinger – keine Miene.
Die Schülerschaft der Andorfer Hauptschule umfasste das gesamte Begabungsspektrum, von Schülern, die mit Ach und Krach die Mindeststandards erreichten, bis zu Schülerinnen, die hochbegabt und hochmotiviert waren. Um Letztere in Englisch und Deutsch zu fördern, tat ich das, was ich als lernwilliger Hauptschüler selbst erfahren hatte: "enrichment", das heißt individuelle Anreicherung des Unterrichts. Ich bot ihnen zusätzliche, anregende Materialien an, borgte ihnen Bücher, setze mich mit ihnen zusammen und ermunterte sie, "to go the extra mile". Ich gebe gerne zu, dass es damals sowohl für mich als auch für die Schüler mehr Zeit für ernsthaftes Lernen und sehr viel weniger Ablenkungsmöglichkeiten gab. Andorf hatte kein Kino, das Fernsehen war erst im Kommen, und natürlich existierten weder Handy noch Facebook. Als ich einmal wegen Komplikationen nach einer Mandeloperation zwei Wochen im Welser Spital lag, schrieben mir zwei Schülerinnen jeden Tag in gestochener Schrift und in fehlerlosem Englisch eine Postkarte. Am Ende meines Aufenthalts erwartete das gesamte Personal der HNO-Station – Postgeheimnis hin oder her – neugierig meine tägliche Karte.
Mein Hausherr, der Schulwart, ein Kettenraucher und regelmäßiger Wirtshausgeher, ließ mich wissen, dass man sich im Ort Sorgen machte um meine soziale Integration. Warum? Ich ging außer zum Mittagessen nicht ins Wirtshaus. Da half es nichts, zu entgegnen, dass ich keine Lust hatte, als Nichtraucher in einer verqualmten Gaststube stundenlang über VW-Käfer mit und ohne geteilter Heckscheibe zu diskutieren oder mir unglaubwürdige Jagdgeschichten anzuhören. Ich wanderte lieber in der frischen Luft über die Felder, an deren Horizont man die sanften Hügelketten des Sauwaldes sehen konnte. Der Schulwart wollte diese soziale Selbstausgrenzung nicht länger akzeptieren und meldete mich, ohne mich zu fragen, zur Teilnahme an einer Exkursion lokaler Honoratioren zur Bundesheerkaserne in Ried im Innkreis an. Mir blieb nichts anderes übrig, als mitzufahren, war aber im Unterschied zu den Amateurmilitärstrategen in der Reisegruppe nicht bereit, einen Beitrag zur Lösung der Frage zu leisten: "Was der Hitler tun hätte müssen, damit wir den Krieg nicht verspielen?" Der Ausflug bewirkte keine nachhaltige Resozialisierung.
Es gab noch einen anderen Grund dafür, dass ich in Andorf keine Wurzeln schlug, und den kannte nur die Schulwartin. Ich war verliebt in eine junge Lehrerin, die in einem anderen Viertel Oberösterreichs unterrichtete. Ich träumte davon, mit ihr eine zweiklassige Zwergschule wie die von Achleiten zu übernehmen, als eine Art "pädagogischen Familienbetrieb". Da die Verkehrsverbindungen zwischen ihrem und meinem Dienstort miserabel waren, konnten wir einander längere Zeit nicht treffen, sondern nur schreiben. Da erhielt ich eines Tages aus heiterem Himmel das, was man in Amerika einen "Dear John Letter" nennt: einen Brief, der beginnt mit "Dear John, wir werden immer gute Freunde bleiben, aber ich habe jemand anderen kennengelernt, und es ist aus zwischen uns". Ich war am Boden zerstört. Das Kartenhaus meiner Zukunftsvorstellungen stürzte zusammen. Erfolglos versuchte die Schulwartin, mich zu trösten. In meiner Verzweiflung beschloss ich, alle "ihre" Briefe und Fotos zu verbrennen. Beim Hineinstopfen der Briefe in die runde Öffnung auf der Platte des Tischherdes warnte mich die besorgt zusehende Schulwartin: "Gruaba, tuas net, du wirst es bereuen." Ich tat es aber, und sie hatte recht – ich bereue es noch heute.
Junglehrer im Hubertusmantel
Um mich abzulenken, bewarb ich mich um ein Fulbright-Stipendium zum Studium in den USA. Die Fulbright-Kommission war offensichtlich überrascht und amüsiert, dass sich unter den zahlreichen Bewerbern, die meisten von ihnen fortgeschrittene Studenten mir sehr gutem Studienerfolg oder bereits abgeschlossenem Studium, auch ein Junglehrer im Hubertusmantel aus dem Sauwald befand, aber ich konnte sehr gut Englisch und verfügte über ein ungewöhnliches Qualifikationsprofil. Ich erhielt ein Stipendium. Das Jahr an einer kleinen Universität in Minnesota im oberen Mittelwesten der USA war faszinierend, abenteuerlich und lehrreich, aber das ist, wie es so schön heißt, eine andere Geschichte.
Ich hatte Zeit, nachzudenken, wie es weitergehen könnte. Die Lehrerbildungsanstalt hatte uns nur eine Schmalspurallgemeinbildung vermittelt, das Studium in Minnesota eröffnete mir "the world of learning". Ich schrieb aus den USA einen Brief an den Bezirksschulrat Schärding, dass ich vorhatte, nach der Rückkehr nach Österreich meine Lehrertätigkeit zu beenden, um in Wien zu studieren. Der Bezirksschulinspektor war (wie übrigens auch mein Vater) über diesen undankbaren Verzicht auf eine gesicherte Beamtenexistenz sehr erzürnt. Nach meinem Dienstantritt wurde ich mehr oder weniger strafweise zum "Springer" degradiert, das heißt, wenn irgendwo im Bezirk einem Lehrer die Gallensteine oder einer Lehrerin die Krampfadern entfernt wurden, musste ich für die Zeit des Krankenstandes einspringen. Mir machte es überhaupt nichts, aus dem Koffer zu leben; ich lernte auf diese Weise etliche schöne Orte des Sauwaldes kennen und konnte die Schülerinnen und Schüler mit meinen rezenten Abenteuern im "Wilden Westen" belehren und belustigen.
Die letzte Postierung in der allerletzten Woche meines Landlehrerdaseins hat meinen Beschluss, den Lehrberuf zu verlassen, allerdings ins Wanken gebracht. Ich wurde an eine Volksschule versetzt, an der eine ganz nette, humorvolle, hübsche Lehrerin unterrichtete. Sie liebte wie ich Englisch, und wir entdeckten viele andere gemeinsame Interessen. Sie war sportlich, kletterte auf Bäume und pflückte Äpfel, die wir vergnügt gemeinsam aßen. (Nein, vergessen Sie "Adam und Eva".) Ihre Mutter hatte herausgefunden, dass ich gerne Honig aß, und brachte mir täglich in den Pausen Honigbrote. Es war zu wenig Zeit, die Situation in ihrer vollen Tragweite "zur Sprache zu bringen", aber irgendwie lag die Zeile aus Schuberts Winterreise, "... das Mädchen sprach von Liebe, die Mutter gar von Eh' ...", in der Luft. Doch wie das Unheimliche, das auf vielen Kubin-Zeichnungen die Szene verdüstert, schwebte über dieser schönen Woche die dunkle Wolke meines Abgangs nach Wien, für den schon weitreichende Entscheidungen getroffen waren.
Am letzten Tag brachte mich die Lehrerin in ihrem VW-Käfer nach Passau zum Bahnhof. Unser Abschied war ein bisschen wie die Schlussszene des Films Casablanca, nur mit vertauschten Rollen: es war nebelig, herbstlich kühl, alles farblos in unterschiedlichen Grautönen, der Bahnhof menschenleer, Rauchschwaden von einer Dampflok ... Ich bestieg als Humphrey Bogart den Nachtzug nach Wien, sie blieb als Ingrid Bergman auf dem Bahnsteig zurück. (Karl Heinz Gruber, 26.5.2018)