Der Nationalpavillon der eidgenössischen Nachbarn: Svizzera 240: House Tour.

Foto: Anna Blau

Und plötzlich fühlt man sich wie Alice im Wunderland, die von jenem Keks gegessen hat, der sie auf ziemlich kleine Größe schrumpfen ließ. Hoch oben, man kann gerade noch danach greifen, schwebt der Türgriff, ein Monsterding aus Edelstahl, auf einer mehr als vier Meter hohen, weißen Tür. Die Küchenkästchen groß und schwer, die Arbeitsplatte unerreichbar, die Steckdosen darüber – eine Sonderanfertigung der Schweizer Hersteller, so wie alles hier – wie ein überdimensionales Mahnmal der Industrie an der mit weißer Dispersion gestrichenen Wand prangend.

Der Nationalpavillon der eidgenössischen Nachbarn unter dem Titel Svizzera 240: House Tour zählt zu den besten und überraschendsten Beiträgen der 16. Architektur-Biennale, die heute, Samstag, offiziell ihre Pforten öffnet. Nicht nur beweisen die Schweizer mit ihren surrealen Maßstabssprüngen von winzig klein bis ehrgebietend riesig eine gehörige Prise Humor (eine Seltenheit auf dem Biennale-Areal) und sorgen damit für fröhliche, lachende und sich gegenseitig fotografierende Besucher, auch bei näherer, kritischer Betrachtung entpuppt sich die House Tour als überaus profunde Geistesspende zum diesjährigen Motto Freespace, den bei beiden Direktorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara zur Verzweiflung einiger Architekten zum Generalthema auserkoren hatten.

"Der zeitgenössische Schweizer Wohnbau sieht Parkettboden, weiße Wände und eine Raumhöhe von 240 Zentimetern vor", erklärt Alessandro Bosshard, einer der Kuratoren. "Es gibt kaum eine Architektur, die wir öfter betreten, und doch nehmen wir diese Raumtypologie nie bewusst wahr, weil wir die leere Neubauwohnung eigentlich immer nur als Hülle für unsere künftige Privatheit sehen. Wir wollten diesen sonst so unscheinbaren Freiraum bewusst wahrnehmbar und erlebbar machen. In manchen Zimmern fühlt man sich wie ein Fremdkörper."

Der indonesische Pavillon.
Foto: : Wojciech Czaja

Es sind genau diese bewusst auf die Leere, auf das räumliche Nichts fokussierte Arbeiten, die die diesjährige Biennale – neben all den klassischen Ausstellungen und langweiligen Länderleistungsschauen – so lustvoll und so spannend machen. Im indonesischen Pavillon beispielsweise hängen weiße Büttenpapierrollen von der Decke, ein Hauch von Material nur, die mit sonoren Tönen beschallt werden. Es vibrieren die Ohrenhärchen. "Man kann nicht nichts machen", sagt Kurator Ary Indra. "Aber man kann so wenig wie nur möglich eingreifen."

Valerio Olgiati im Arsenale.

Foto: Wojciech Czaja

An einer von insgesamt 33 weißen Säulen im Arsenale lehnt der Schweizer Architekt Valerio Olgiati, den der STANDARD zum Interview trifft. Es ist eine von ihm geschaffene Rauminstallation. "Freiraum als das volumetrische Nichts ist ein verdammt schweres Thema, mit dem wir Architekten kaum noch umzugehen wissen, weil wir immer nur die Funktionen und die manifesten Baustoffe im Auge haben. Aber es braucht eine gewisse Leere, um Leere zu spüren." (Wojciech Czaja, 25.5.2018)