Die Transsexuelle Marvia Malik bereitet sich im Studio im ostpakistanischen Lahore auf die Sendung vor.

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Islamabad/Dubai – Freudentränen habe sie geweint, erzählt Marvia Malik. Die 21-Jährige schrieb in Pakistan Mediengeschichte, als sie für den Fernsehsender Kohenoor News die Abendnachrichten moderierte. Malik ist transsexuell – sie gilt in Pakistan als eine Angehörige des "dritten Geschlechts", das seit langem stigmatisiert und ausgegrenzt wird.

Rund 10.000 Transsexuelle leben offiziell in dem islamischen Land. Die wahre Zahl ist deutlich höher. Fast alle von ihnen leben am Rande der Gesellschaft. Sie betteln, tanzen auf Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten oder arbeiten in der Sexindustrie des ultrakonservativen Landes.

Von Familien misshandelt und verstoßen

Malik war schon früh klar, dass sie einen anderen Weg gehen wollte. Doch sie bekam kaum Unterstützung. "Ich habe ein Journalismusstudium abgeschlossen, aber ich habe mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie diejenigen Transsexuellen, die betteln", sagt sie. "Wir leiden alle. Wir werden von unseren Familien verstoßen, geschlagen."

Die Journalistin aus der ostpakistanischen Stadt Lahore arbeitete nach der Schule zunächst in einem Schönheitssalon. Von dort aus schaffte sie den Sprung zum Modelvertrag. Das brachte ihr genug Geld für ein Studium. Als sie beim lokalen TV-Sender Kohenoor vorsprach, wurde sie auf der Stelle engagiert.

Junaid Ansari, der Chef des Senders, sagt, Malik sei wegen ihrer Qualifikation ausgesucht worden. Es sei nicht darum gegangen, Tabus zu brechen, sondern darum, die beste Person zu finden. Natürlich habe es negative Reaktionen gegeben, doch insgesamt sei das Echo auf Malik sehr positiv gewesen.

Seit Jahrhunderten das "dritte Geschlecht"

Menschen, die sich mit einem anderen Geschlecht als ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren, werden in Pakistan seit Jahrhunderten als das "dritte Geschlecht" angesehen. Diese Einordnung deckt sich nicht mit den modernen, westlichen Kategorien von Transsexualität und ist vielschichtiger und fließender.

Schon das Kamasutra, das mehr als 1500 Jahre alte Erotiklehrwerk des indischen Subkontinents, beschreibt das "dritte Geschlecht". Hijras, wie Transsexuelle in Südasien genannt werden, können Eunuchen, Intersexuelle oder Transsexuelle sein. In den Harems der Mogul-Kaiser waren Hijras für das Wohlergehen der Damen am Hof zuständig.

Die britische Kolonialregierung versuchte, die Hijras wegen ihrer "unsittlichen Existenz" zu verbannen, und ließ sie als Kriminelle registrieren. Auch wenn diese Praxis mit der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans 1947 verschwand, blieb die Stigmatisierung bestehen.

Von Erbschaften ausgeschlossen

Trotz ihres beruflichen Erfolges, sagt Malik, werde sie von ihrer Familie geschnitten: "Ich wurde nie akzeptiert." Deshalb werden Transsexuelle auch oft vom Erbe ausgeschlossen. Im Alter seien sie so gezwungen, als Haushaltshilfe zu arbeiten, und selbst für ein Begräbnis müsse Geld gesammelt werden, weil sich die Familien weigerten, sie zu bestatten. "Ich will das Schicksal meiner Gemeinschaft ändern", sagt Malik. (Agnes Tandler, 29.5.2018)